Vor Ort mit Tamara Röske

Mit spannenden Menschen an spannenden Plätzen

In der Serie "Vor Ort" treffen wir spannende Menschen an spannenden Plätzen. In Folge 170 geht es mit Model und Sportlerin Tamara Röske zur Clay-Pit-Ranch in Waiblingen.

Foto: Ronny Schönebaum

Ameisenbühl in Waiblingen. Ein Industriegebäude neben dem anderen, der Zeitungsverlag und das alte Druckhaus linker Hand, im Rücken ein riesiger Neubau von Daimler. Zwischendrin die Clay-Pit-Ranch, fast wie eine verlassene Kulisse für einen Western-Streifen. Die Ranch war vor Kurzem noch eine große Anlage mit Reitplatz und rund 50 Pferden und Ponys. Eine kleine Oase mitten im Waiblinger Gewerbegebiet: Alte Gebäude aus roten Ziegelsteinen, ein kleiner See, Koppeln, Ziegen, Bäume.

Übrig geblieben sind drei eingezäunte Pferde. Durch die verlassenen Häuser weht der Wind, in den Ecken stehen Schubkarren und Mistgabeln. Ende 2023 war Schluss mit dem Ponyhof, die Stadt Waiblingen will das Gelände industriell erschließen und eine Straße durch die Anlage bauen. Fans der Ranch haben eine Petition gestartet. Doch ohne Erfolg. „Meine Pferde sind weg“, sagt Tamara Röske und schaut auf den Boden, sie wirkt betrübt beim Gang über den verlassenen Hof. Seit sie zehn Jahre alt ist, war Röske hier jeden Samstag reiten.

„Was kommt nach sieben“, fragt Röske lächelnd, „genau acht. Ich bin 28 Jahre alt“. Viel Zeit, fast 18 Jahre, hat sie hier verbracht, an dem kleinen Ort, der unweit des Waiblinger Bahnhofs liegt und daher optimal für Röske zu erreichen war: Von Sommerrain, wo sie mit ihrer Mutter wohnt, sind es mit der S-Bahn nur zwei Stationen. An diesem Samstag wird sie vorerst zum letzten Mal hier sein. „Ich mag keine Veränderungen. Das macht mir Angst. Ich will, dass es so bleibt, wie es war“, sagt Röske.

Sie steht mitten auf der Ranch, zeigt über das Gelände: „Hier da drüben war mein Stall, hier meine Reithalle. Und ich bin am liebsten auf Otino geritten, aber alle nennen ihn Tini. Er ist mein Lieblingspferd.“ Der Wallach wird nun auf einem anderen Hof in der Nähe eingewöhnt. Röske kann bald dort weiterreiten. Das freut sie sehr, aber es sei nicht dasselbe. Die Clay Pit Ranch war ein fester Bestandteil ihres Lebens.

Etwas müde ist sie noch, am Abend zuvor war Röske auf einer Geburtstagsparty und eigentlich schlafe sie samstags immer gerne aus. Sie fühlt sich nicht richtig wohl auf dem verlassenen Hof zwischen abgestellten Eimern und dem leeren Reitplatz: „Ich mag hier am Pferdehof nicht bleiben, weil sich das alles so verändert.“

Und trotzdem ist sie offen für Neues: Wie sonst könnte sie so vielen verschiedenen Hobbys und Aktivitäten nachgehen? Röske ist im Januar 1996 mit dem Down-Syndrom zur Welt gekommen, heute ist sie ist Model, Schauspielerin und Sportlerin – und ständig unterwegs. Seit sie elf Jahre alt ist, posiert Röske vor der Kamera. Als Model ist sie ehrgeizig und ambitioniert, träumt von New York und Los Angeles, war für Shootings schon in Paris und Rom, modelte für Adidas, Blutsgeschwister, Hugo Boss und Victoria Beckham.

Im Frühsommer 2023 war sie in der deutschen Vogue zu sehen. Als Schauspielerin hatte sie  Auftritte beim Traumschiff oder an der Seite von Schauspieler Elyas M’Barek in „Fack Ju Goethe 3“. „Schauspielern ist ein gutes Gefühl“, sagt Röske.

„Das Reiten“, sagt sie, „ist aber nur zum Spaß“. Ganz ohne Turniere und Leistungsgedanken. Und auch deswegen war die Clay-Pit-Ranch so ein Glücksgriff für Tamara Röske: Hier herrschte kein strenger Reitverein-Vibe mit Dress-code und Konkurrenzkampf. Das Motto der Ranch lautete „Western Joy Ride“. Und das Besondere am Westernreiten ist vor allem die viele Bodenarbeit, viel Interaktion mit dem Pferd und longieren.

Das stärkt die Verbindung zwischen Reiterin und Pferd. Tamara Röske putzte, pflegte, führte – und baute vor allem zu Tini eine starke Bindung auf. Sie lernte die Pferdesprache, wie sie es nennt. „Ich hatte auch viel Theorie-Unterricht. Das mache ich jetzt alleine weiter zu Hause“, sagt sie fest entschlossen.

Dieser Ehrgeiz ist es auch, der sie im Sport antreibt. Zur Ranch an diesem Samstag hat sie in einem kleinen Beutel drei Medaillen mitgebracht, die sie im Februar bei den Nationalen Winterspielen der Special Olympics in Thüringen gewonnen hat. Ihre Disziplin: Das Schneeschuhlaufen. Im Sommer 2023 war sie in Berlin bei den Special Olympics, sie startete beim 100-Meterlauf sowie der 100-Meter-Staffel, 2022 holte sie im Weitsprung die Silbermedaille.

Röske tritt für ihren Verein „46 Plus Downsyndrom Stuttgart“ an. Der Verein will über Trisomie 21 informieren, Familien unterstützen und Berührungsängste abbauen. Ihre Tochter sei losgelöst und entspannt, wenn sie mit anderen Menschen mit Down-Syndrom zusammen sein kann, sagt die Mutter von Röske.

Doch doch auch die andere Seite ist wichtig: Dass Menschen mit Down-Syndrom in Gruppen mit Menschen ohne Down-Syndrom auftreten. Daran sollen sich alle gewöhnen, finden Tamara Röske und ihre Mutter. „Ich bin ein Mädchen, ein normales und besonderes Mädchen“, sagt Röske. Ein normales Mädchen mit einem vollen Terminkalender: An fünf Tagen die Woche arbeitet sie als Lageristin in Korntal-Münchingen. Das macht sie seit acht Jahren, die Regelmäßigkeit und die Arbeit tun ihr gut. Zuvor hatte sie viele Praktika gemacht – war in einem Kindergarten und im Kap-Laden. „Da möchte ich aber nicht drüber reden“, sagt sie und schmunzelt ein bisschen. Dort sei sie nämlich rausgeschmissen worden.

Außerdem spielt Tamara Röske Klarinette in zwei Orchestern, am liebsten möchte sie noch Alt-Saxophon lernen. „Und das mache ich auch“, sagt sie entschlossen.

Röske kommt aus einer musikalischen Familie, ihre Mutter lernte als Kind Akkordeon, ihr Bruder spielt Gitarre und Trompete. „Ich spiele in einer Jugendkapelle und in einer Erwachsenenkappelle“, sagt sie. Zweiteres ist der Musikverein Stuttgart-Hofen, hier ist Klarinetten-Spielerin Röske die einzige mit geistiger Behinderung.

„Montags habe ich bis 22 Uhr Orchester, dienstags habe ich frei, da chille ich dann – oder ich mache was im Haushalt“, erzählt Röske. Mittwochs ist schwimmen angesagt. „Aber vielleicht höre ich damit auf, ich hab eh so viel zu tun –  vielleicht probiere ich lieber Yoga.“

Da ist sie wieder, die Lust auf Neues. Tamara Röske weiß, was sie will. Ein großer Plan für die nahe Zukunft ist, eine Wohngemeinschaft zu finden. Das sei gar nicht so einfach, aber sie bleibt optimistisch: „Ich lass es auf mich zukommen.“      

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