Statt am Fluss

Keine Abkühlung, nirgends

Gibt es Alternativen zum versperrten Neckar im Sommer?

Von wegen „Stadt am Fluss“: Das Prestigeprojekt von Oberbürgermeister Fritz Kuhn, den Neckar erlebbar zu machen, hängt an allen Fronten hinterher. Viel hätten die Stuttgarter aber ohnehin nicht vom Neckar. Ein Flussbad wie bis 1957 üblich? Kann man schon machen. Letzte Waschung nennt man das dann halt. Baden im Neckar ist deshalb seit 1978 verboten. Wo lässt sich’s während des heißen Augusts im Kessel also gut aushalten? Kleiner Spoiler: nirgends.

An den See?

Nur gucken, nicht anfassen: Das gilt für alle sechs Seen im Kreis Stuttgart. Einst ein Badesee, kann man den Max-Eyth-See aufgrund der schlechten Wasserqualität nur noch per Boot überqueren – zumindest, wenn das Schaufelrad des Tretboots nicht gerade mit toten Fischen verstopft ist. Die trieben letzten Sommer nämlich massenweise auf der Wasseroberfläche herum.

Auf der Liegewiese am Ufer sollte man dagegen aufpassen, wohin man tritt, dort ist der Rasen von vier Einweg-Grills pro Quadratmeter gesäumt. Mindestens. Tipp: Einladungen zu gegrilltem Fisch sollte man besser ausschlagen.

Die drei Seen am Bärenschlössle im Stuttgarter Westen sind zwar sauber, für Schwimmer aber trotzdem tabu: Sie dienen der Stadt als Wasserreservoir für den Notfall. Die CDU wollte 2013 trotzdem (vergeblich) das Badeverbot aufheben. Notwasserversorgung? Nach ihr die Sintflut. Also Umwelt-Business-as-usual.

Wer im See baden will, muss jedenfalls raus aus dem Kessel. Ganz ungefährlich ist das im Sommerloch jedoch nicht: Die Kaimane, vor denen sich Badegäste in den Bürgerseen bei Kirchheim vor Kurzem fürchteten, waren zwar bloß Attrappen – aber der Sommer ist ja noch lang. Das Tourismusbüro lässt jedenfalls schon fleißig Sticker drucken: „Hai-Alarm vor Mallorca? Klingt aufregend. Aber waren Sie schon mal in Baden-Württemberg?“

In die Stadt?

Ob Biergarten oder Beachclub, Abkühlung abseits der Freibäder gibt es im Kessel nur für den Rachen statt für die Füße. Für Hitzegeplagte ist der Anblick des Neckars darum so leidvoll wie eine Fata Morgana in der Wüste. Aber wenigstens für ein paar Wochen liegt „Stuttgart am Meer“: Eine Surfwelle wie jene, die im Neckar am verkeimten Wasser scheiterte, wird vom 15.-25. August im Garten des Stadtpalais aufgestellt und dort für Erfrischung ohne Vergiftungsgefahr sorgen.

Klar kann man sich auch mit Picknickkorb und Decke unter einen Baum in den Schlosspark legen. Statt am Fluss liegt man dann halt gleich neben der B14 am Luftkurort Neckartor. Die fliegenden Funken in der Luft könnten zwar durchaus von der Grillstelle stammen, aber vielleicht glüht ja auch ganz einfach der Feinstaub.

Langfristig würde die SPD die Stadt ja gerne technisch mit einem Fernkältenetz herunterkühlen, wie es in Wien bereits gemacht wird – ein Thema für den neu eingerichteten Klima-Ausschuss im Gemeinderat. Kurzfristigeres Frösteln geht im Rathaus aber schon jetzt: Unterkühlter als zwischen der CDU und den Grünen ist die Stimmung im Kessel vermutlich nirgends. Einfach einen Liegestuhl zur nächsten Gemeinderatssitzung mitbringen und strategisch zwischen den Fraktionen positionieren.

Ins Freibad?

Mit der Idee, die heißen Sommertage im Freibad zu verbringen, stehen Stuttgarter dummerweise nicht alleine da. Überhaupt stehen sie dort vor allem an: vor überfüllten Parkplätzen, vor dem Einlass, vor der Rutsche, vor dem Kiosk.

Bereits Ende Juni hatten die Freibäder im Kessel beinahe doppelt so viele Besucher wie 2018, nach Vaihingen kamen am Rekordtag ganze 14.682 Gäste und damit fast 8.000 mehr als am vollsten Tag des Vorjahres. Selbst die Becken sind oft so überfüllt, dass die Badegäste da-rin nur zusammengepfercht herumstehen wie Pommes in der Tüte. Das hat auch Vorteile, stehend bietet man der Sonne schließlich nur wenig Angriffsfläche. Kleiner Nachteil: Die Hitze steigt einem schneller zu Kopf.

Haus- und Badeverbote sind längst an der Tagesordnung, im Inselbad Untertürkheim musste schon die Polizei anrücken und sogar Pfefferspray anwenden. Als Folge gibt’s patrouillierendes Sicherheitspersonal und eine härtere Einlasspolitik als im Berghain: FlipFlops? Potenzielle Wurfgeschosse. Rotes Handtuch? Macht aggressiv. Einhorn-Schwimmtier? Viel zu angriffslustig. Und wehe, das Kind brüllt über das vom Türsteher abgeschnittene Horn...

Um dem gestiegenen Freibadbedarf gerecht zu werden, lohnt es sich vielleicht, den Saisonstart der Zweiten Bundesliga abzuwarten: Wenn der VfB in den ersten Spielen genauso baden geht wie zuletzt, könnte man das Stadion im Prinzip ja auch einfach fluten.

Nach Hause?

Den Sommer in den eigenen vier Wänden zu verbringen ist möglich, aber sinnlos. Kapselt man sich tagsüber mit geschlossenen Fenstern, heruntergelassenen Jalousien und gebingeten Reisedokus auf Netflix von der Welt da draußen ab, wird das soziale Leben abends und nachts dafür durch sperrangelweit geöffnete Fenster zur öffentlichen Zwangs-Insta-Story für alle.

Der eine Nachbar streitet am Telefon mit seiner Ex und der nächste ist hörbar versöhnlicher mit seiner Neuen zugange, links unten schreit ein Baby und die WG gegenüber feiert die kompletten Semesterferien in wechselnden Schichten durch. Besonders der Stuttgarter Wes-ten – einer der am dichtesten besiedelten Stadtteile in ganz Deutschland – ist im Sommer für Ruhebedürftige ein sozialer Livestream aus der Hölle. Da kann man schon mal sonderlich werden und sich zu sechst in ein Planschbecken mit  5.000 Litern Wasser auf den Balkon setzen – wie jüngst nahe des Westbahnhofs versucht. Eine steile Idee, dank der es nun einen Balkon weniger gibt.

Kein Wunder also, dass jeder am liebsten aus dem heißen Kessel flüchten würde und der Stuttgarter Flughafen 2019 einen absoluten Passagierrekord erwartet – dumm bloß, dass die Kesselsommer dadurch in Zukunft noch heißer werden. Das nennt man dann wohl Teufelskreis.

Illu: Paulina Eichhorn, Text: Frank Rudkoffsky

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