LIFT-Aktuell im März

An dieser Stelle bekommen Sie jeden Monat eine kleine Leseprobe zum Durchblättern sowie einen kompletten Artikel aus unserer aktuellen Print-Ausgabe. Von der Abhandlung über Stuttgarter Facebook-User über das Abwatschen eines depperten islamfeindlichen Vereins bis zum Politiker-Eintopf-Interview oder der Reportage aus dem Headquarter der Stuttgarter Hells Angels – solche Texte gibt es nur bei uns.

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Ideen mit Antrieb


Selbstständigkeit wird nicht mehr aus der Not heraus geboren. Immer mehr Stuttgarter leben ihren Traum von der eigenen Idee und gründen ein Unternehmen. Ein Streifzug durch die Kreativ-Szene im Kessel.

Auf der ganzen Welt starren Gründer derzeit auf ihr Smartphone. Ruft er endlich an? Die Rede ist von Hollywood-Schauspieler Ashton Kutcher. Der blödelt sich im Tagesgeschäft durch diverse Rollen. Viel lieber investiert Kutcher aber in Start-ups, zuletzt in die Berliner Plattform für Freizeitaktivitäten Gidsy. Klingt verrückt? Ist es auch. Der Ex von Demi Moore steht eben auf Kreative, die an ihre eigene Idee glauben.

Wie die Stuttgarterin Josephine Götz. Die ist ganz schön mutig. Vielleicht ein bisschen verrückt. Auf jeden Fall bewundernswert. Die Reaktionen sind unterschiedlich, wenn Josephine Götz erzählt, dass sie sich direkt nach dem Studium selbstständig gemacht hat, und dann auch noch mit einem totgesagten Produkt: einem Printmagazin.

„Päng!“ heißt ihr Herzensprojekt, ein Magazin für junge Erwachsene, das Ende März Releaseparty im Club Speakeasy feiert und ab 4. April in den Regalen der Zeitschriftenhändler liegen wird. Elf Stunden arbeiten am Tag, aber „sowieso fast nie an was anderes denken“, ist für die 25-Jährige gerade der Normalzustand.

Götz ist eine von rund 5.000 Gründern, die im Jahr 2011 mit ihrem eigenen kleinen Unternehmen in Stuttgart an den Start gegangen sind. Ein großer Teil davon wird wie Götz der so genannten Kreativwirtschaft zugerechnet, einem vergleichsweise neuen Wirtschaftszweig, dessen Relevanz die Politik erst langsam realisiert. Die Kreativwirtschaft ist mit rund 4.400 Unternehmen, über 25.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von rund sechs Milliarden Euro eine Hausnummer in Stuttgart.

Päng! Von der Idee überzeugt

Josephine Götz ist nervös. Ihre Wangen sind in ein dunkles Rot getaucht, ihr skeptischer Blick spiegelt sich im Kameraobjektiv wider. Noch ein paar Mal blitzt es im Café im Stuttgarter Süden, dann ist es geschafft.

Mittlerweile ist Götz routiniert darin, Interviews zu führen und gemeinsam mit dem Fotografen ihre Gesprächspartner in Szene zusetzen. Aber selbst diejenige zu sein, die interviewt und fotografiert wird, das ist neu für die Nachwuchsherausgeberin. Dabei kann ein bisschen Presse einem Start-up nicht schaden. Erst im Sommer 2011 hat Götz ihr Studium an der Hochschule der Medien in S-Vaihingen beendet und sich kurz danach selbstständig gemacht.

Wenn sie über das Konzept von Päng! spricht, lässt sie keinen Zweifel daran: Sie ist von ihrer Idee überzeugt. „Päng! ist ein Magazin für die schöne heile und vor allem die reale Welt im stressigen, oft digitalisierten Alltag. Es regt dazu an, sich selbst die Frage zu stellen: Was möchte ich gerne mit meiner Zeit anstellen?“

Ideen habe sie schon viele gehabt, erzählt Götz. Päng! hat sie einfach nicht mehr losgelassen. „Ich war im Urlaub, lag in der Sonne und las eine Zeitschrift. Thema eines Artikels: Die zehn besten Apps für den Urlaub. Das wollte ich nicht lesen. Ich war an einem schönen Ort und wollte nicht am Handy rumfummeln. Da war plötzlich die Idee zum Heft geboren.“

In ihrer Bachelorarbeit arbeitete Götz das Konzept aus, analysierte den Anzeigenmarkt, definierte die Zielgruppe. Neben dem Dozenten an der Hochschule sollte noch ein weiterer Betreuer aus der Praxis das Projekt begleiten: Götz bat Adolf Theobald um Mithilfe. Theobald ist Journalist und Medienberater, in den 60er Jahren war er Herausgeber der Jugendzeitschrift Twen, später Vorstandsmitglied bei Gruner & Jahr und Geschäftsführer beim Spiegel-Verlag.

Theobald fand das Konzept reizvoll und sagte zu. „Das war mein Glück! Er hat alles hinterfragt.“ Das Studium hat Götz längst abgeschlossen, zum 82-jährigen Theobald hat sie aber immer noch Kontakt: „Wenn es um wirklich schwierige Entscheidungen geht, darf ich ihn anrufen und mir einen Rat abholen.“

Jetzt ist Götz Herausgeberin, Redakteurin und Anzeigenberaterin auf einmal. Zu vier engeren Mitarbeitern kommen rund 30 freie Autoren und Fotografen. Sie alle arbeiten ohne Honorar. Das soll sich nach Erscheinen der ersten Ausgabe allerdings ändern.

Alle verfügbaren finanziellen Mittel – vom Gründerzuschuss bis zum Fundraising – werden in das Magazin investiert, auf alles Unnötige wird verzichtet. Deshalb hat Päng! auch keine Redaktionsräume. Päng! entsteht in Götz’ WG in S-Mitte. „Es ist ganz schön schräg, wenn du mit internationalen Anzeigenkunden telefonierst und neben dir sitzen die Mitbewohner und trinken Kaffee.“

Auch Florian Haug und seine Kommilitonen Christina Weiblein, Daniel Offenwanger und Rafael Sohm, alle etwa Mitte 20,  feilen an ihrem ersten Projekt als Jungunternehmer nicht im eigenen Büro, sondern an der Nürtinger Hochschule. Im BWL-Studium haben sie ein Seminar belegt, das sie auf die Selbstständigkeit vorbereiten soll. Ihre Idee wurde von einer Jury zur besten der Hochschule gewählt, Anfang März dürfen die vier ihren Eventomat nun beim landesweiten New Biz Cup einer weiteren Jury vorstellen.

Die Idee des Eventomat ist einfach umzusetzen und ökonomisch: Alte Zigarettenautomaten, die nicht mit der heute notwendigen Altersprüfung ausgestattet sind, werden günstig gekauft und umgerüstet: Auf Festivals sollen die Automaten vergessene Zahnbürsten, Ohrstöpsel oder einen Regenschutz ausspucken, in Szenegastronomien Lipgloss oder Ballerinas, damit die Damenwelt nach einer durchtanzten Nacht nicht in den hohen Schuhen nach Hause laufen muss. Ob es den Eventomat tatsächlich eines Tages auf dem Markt geben wird? „Ich fände es schon sehr reizvoll, irgendwann mein eigener Chef zu sein“, sagt Haug.

Geschäftsidee Weinschorle

Wie eine Erfolgsgeschichte nach dem Biz Cup aussehen kann, haben die Jungs von Acht Grad vorgemacht. 2007 nahmen Volker Netzhammer und Patrick Braun an dem Wettbewerb teil, zwei Jahre später machten sich die Heilbronner selbständig. Ihre Weinschorle Acht Grad gibt’s in schicken Flaschen mittlerweile in vielen Bars und Clubs in ganz Deutschland. „Die Weinschorle im Glas ist einfach nicht partytauglich, aus dem Stielglas verschüttet man schnell was.“

All diesen Konzepten merkt man an: Eine gute Idee muss nicht immer gleich die Welt verändern. „Es kommt darauf an, dass die Zielgruppe einen Mehrwert gegenüber der vorherigen Lösung hat”, erklärt Roland Raff die Grundlage für den Erfolg eines Start-ups. Raff ist Gründerexperte der L-Bank, nebenbei doziert er an der Hochschule Nürtingen über das Thema Selbstständigkeit.

Raff empfängt uns in einem schicken Besprechungszimmer hinter der Glasfassade der L-Bank, in dem wir Filterkaffee, Ananasschiffchen und Kekse serviert bekommen.

Finden hier auch die Beratungsgespräche für angehende Gründer statt? Raff winkt ab. Bei der L-Bank habe man mit den Jungunternehmern nur indirekt zu tun, sagt er. Raffs Job ist es, Finanzierungsprogramme so zu gestalten, dass die Hausbanken Anreize haben, den Gründern einen Kredit zu geben und dieser für die Gründer zinsgünstig ist. „Gerade wenn es nur um ein paar Tausend Euro geht, ist damit für die Hausbank verhältnismäßig viel Aufwand und wenig Gewinn verbunden. Für die Gründer geht es dabei aber um die finanzielle Grundlage für ihre Idee.“

Im vergangenen Jahr wurden fast 1.000 Gründungen und junge Unternehmen mit dem so genannten Programm „Startfinanzierung 80“ finanziert, 300 mehr als noch im Jahr 2006. Diesen Trend sieht Raff positiv: „Die Arbeitslosenzahlen sind so gering wie lange nicht mehr, dennoch nimmt die Zahl der Gründungen zu. Das ist ein gutes Zeichen, weil es bedeutet, dass die Selbstständigkeit nicht aus der Not heraus geboren wurde, weil man keinen Job findet. Es zeigt, dass der Antrieb dahinter steht, seine Idee verwirklichen zu wollen.“ Mit dieser Ausgangsposition hätten Neugründungen eine größere Überlebens-Chance.

Ein besonderes Angebot initiiert die L-Bank im März das erste Mal in Stuttgart: Bei der Gründerzeit können angehende Gründer im Haus der Wirtschaft in S-Mitte Vorträgen und Diskussionen von Experten aus Politik und Wirtschaft lauschen und sich bei der „Nachtzeit“ mit anderen Unternehmern aus Gastro, Mode, Film, Musik und Kunst bei DJBeats und Drinks entspannt austauschen.

Ortswechsel. Vom modernen gläsernen Besprechungszimmer der Bank geht es in ein etwas abgerocktes Bürogebäude in der Ossietzkystraße in S-Mitte. Hier treffen wir Alexander Matthies von Raum auf Zeit, der Gründern in Stuttgart seit Jahren ein Zuhause gibt. Das Konzept seiner Firma: Leerstehende Gebäudekomplexe, denen langfristig der Abriss oder ein Umbau droht, werden von Raum auf Zeit angemietet und einzelne Räume oder ganze Stockwerke verhältnismäßig günstig an Start-ups, Jungunternehmer und Freischaffende weitervermietet. 

Rund 150 Start-ups hatten genau so eine Bleibe im H7, der ehemaligen Bahndirektion am Hauptbahnhof. Das historische Gebäude war beispiellos, die Mischung der Mieter stimmte, man schätzte seine Flurnachbarn und das Netzwerk mit anderen Kreativen.

Umso größer dann der Aufschrei, als den Mietern Ende letzten Jahres kurzfristig gekündigt wurde. „Die Definitivität, mit der uns die Bahn vor die Tür setzte, hatten wir unterschätzt“, gibt Matthies zu. Noch kurz vor der Kündigung hatten neue Mieter Verträge unterschrieben. Ein Ersatzgebäude in der Goethestraße war bereits gefunden, doch der Deal platzte kurzfristig.

Laut einem Insider fürchteten die Inhaber Demos, sobald auch sie die Zwischennutzung beenden würden. Ein weiteres, aber weitaus kleineres Objekt hatte Matthies da bereits angemietet: Im O8, der Ossietzkystraße 8, nicht weit vom Hauptbahnhof, hat einst die EnBW residiert. Jetzt arbeiten hier zum Beispiel die Modemacherinnen von Splitterfaser, Fotograf Lutz Schelhorn hat dort sein Studio und der Graffiti-Shop Thirdrail residiert im Kellergeschoss und hat gleich ein weiteres Geschäftsfeld erschlossen.

„Wir haben hier jetzt mehr Platz. Im Extra-Raum finden nicht nur Graffiti-Kurse statt, wir stellen ihn auch der Wirtschaftsförderung für Gründerseminare zur Verfügung“, sagt Thirdrail-Geschäftsführer Patrick Pfaff. Vom O8 sind es nur wenige Meter durch den eisigen Winterwind bis zum neuesten Gebäude von Raum auf Zeit. Das K28 in der  Kriegsbergstraße 28 liegt direkt neben dem H7.

„Jetzt können wir einem Großteil unserer ehemaligen Mieter vom H7 neue Räume in gleich guter Lage anbieten. Auch für eine Gastro oder einen Club wird hier wieder Platz sein“, sagt Matthies und führt uns durch eine komplett leere Etage.

Im zweiten Obergeschoss des K28 ist dagegen schon Leben eingekehrt. Beißender Farbgeruch zeugt von einer Renovierung, die immer noch in Gang ist. Schließt man aber die Tür hinter sich, neben der das Schild „Raum Nummer drei“ hängt, steigt einem nur noch der angenehme Duft von herber Schokolade in die Nase. Sandra Kübler und Christine Voshage haben ihren Umzug vom H7 ins neue Büro gerade hinter sich gebracht, jetzt werden hier die Bestellungen für ihre Typolade entgegengenommen und die Schokolade-Lettern in hübsche kleine Schachteln verpackt.

Schwarze Zahlen aus Schokolade

Typolade gibt es seit fünf Jahren. Die Idee, ganz individuell mit Schokolade zu kommunizieren, kommt gut an: Heiratsanträge in Zartbitter, Tischkarten in süßem Weiß oder ein Steuerberater, der seinen Kunden „schwarze Zahlen“ schenkt. „Die Idee gab es schon lange, aber erst als das Konzept rund war, haben wir losgelegt und waren sicher: Das wird laufen.“ Eine Gründerberatung war für die beiden Frauen sehr wichtig, allerdings wollten sie, anders als die meisten anderen Start-ups,keinen Kredit aufnehmen. „So läuft es vielleicht ein wenig langsamer an, aber wir wollten einfach nicht mit Schulden starten.“

Zwei Stockwerke tiefer, im Erdgeschoss des K28, haben Alexander Scheffel aka DJ 5ter Ton und seine Kollegen die Renovierungsarbeiten fast beendet, nur ein paar Latten an der weißen Holzdecke sind noch nicht montiert. DJ Tease, der eigentlich Thies Janknecht heißt, teilt sich ein Büro mit Modebloggerin Mia Bühler. Im hintersten Raum ist João „Ju“ dos Santos, wie Scheffel einst Mitglied bei Massive Töne, tief in die Ledercouch eingesunken, der Blick vor dem Macbook wie hypnotisiert.

„Die meisten von uns hatten schon im H7 Büros oder provisorische Tonstudios. Durch den Umzug hatten wir jetzt die Chance, alle gemeinsam zu arbeiten, einen ganzen Flur zu unserem zu machen.“ Der Fluch bei so vielen Musik-Schaffenden: Etwa 12.000 Schallplatten mussten mit umziehen. Jetzt füllt das Vinyl jeden freien Platz im Regal.

Vor zweieinhalb Jahren hat sich Scheffel nach einer Anstellung selbstständig gemacht – und war selbst überrascht, dass er als DJ einen Gründerzuschuss bekam. „Es ist gut, dass das Nachtleben mittlerweile als Kulturgut wahrgenommen wird, dass selbst eine Bank uns als unterstützenswert erachtet“, sagt Scheffel.

Anfang März wird der nächste große Schwung an Mietern in die Räume des K28 einziehen. Scheffel und seine Kollegen freuen sich schon auf die neuen Nachbarn. „Neue Leute, neue Räume, das ist doch toll! So können auch neue Synergien entstehen.“

Fehlt also nur noch ein Anruf von Ashton Kutcher bei einem der findigen Gründer in Stuttgart. Wir stellen gerne den Kontakt her.

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