Ist Secondhand immer nachhaltig?

Secondhand, Second Chance? Es kommt auf den Konsum an

In einem Baumwoll-T-Shirt stecken bis zu 2.000 Liter Wasser: Das sind zehn volle Badewannen für ein Kleidungsstück, das man im Handel für fünf bis zehn Euro shoppen kann – bei einer Jeans sind es schon vierzig Wannen. Auch der CO2-Ausstoß, den Fast Fashion verursacht, ist immens: „Für knapp zehn Prozent der CO2-Emissionen weltweit ist die Textilindustrie verantwortlich“, klärt Kai Nebel, Nachhaltigkeitsbeauftragter der Hochschule Reutlingen, auf. Das ist mehr als alle jährlichen internationalen Flüge und Kreuzfahrten zusammen.

Klingt schlimm, oder? Ist es auch. Und trotzdem kaufen wir weiter: „Wir produzieren schätzungsweise 140 Milliarden Kleidungsstücke im Jahr, unterm Strich wird kaum mehr als die Hälfte verkauft“, sagt Nebel. Und von den Produkten, die dann gekauft werden, wird wiederum nur die Hälfte getragen – „alles nur, damit wir Auswahl im Schrank haben.“ Auch Professor Klaus Meier, dem Studiendekan des Fachbereichs Textiltechnologie der Hochschule Reutlingen, ist das bekannt: „Das Problem mit der Mode ist, dass sie dazu erschaffen wurde, um Menschen zum Kaufen zu animieren.“

Was können wir also tun, um unser Mode-Bedürfnis zu stillen und gleichzeitig das Gewissen zu beruhigen? Die Antwort liegt nahe – statt bei großen Retailern kaufen viele ihre Klamotten jetzt Secondhand. Das Stöbern in Aussortiertem kann viele Vorteile haben: Zum einen werden die Sachen oft viel günstiger verkauft, zum anderen hat man das Gefühl, durch den Kauf auch etwas für die Umwelt zu tun. Schließlich kauft man nicht neu, füttert also auch nicht die Riesen der Textilindustrie mit Nachfrage.

Doch ganz so einfach ist das nicht mit der Secondhand-Mode. „Grundsätzlich ist am allgemeinen Begriff Secondhand nichts zu kritisieren“, so Kai Nebel. „Aber man muss vorsichtig sein. Denn um Secondhand zu haben, brauche ich erstmal Firsthand. Hier besteht die Gefahr, dass viel produziert wird, damit ich dann auch umso mehr Secondhand zur Verfügung habe.“

Nebel spricht von sogenannter Pseudo-Secondhand-Ware, die noch nie in zweiter Hand war. „Das sind zum Teil Überhänge riesiger Marken, die noch nie verkauft wurden.“ Also quasi Stücke, die neu sind und aufgekauft werden, um sie  güns­tiger als Secondhand-Ware weiterzuverkaufen. Sein Kollege Klaus Meier sieht ein weiteres Problem: „Wenn ich die echte Nutzungsdauer eines Kleidungsstücks verlängere, verbessere ich damit natürlich die Ökobilanz – je weiter ich das aber durch die Welt karre, desto weiter geht die dann wieder runter.“

Woher die Klamotten im Shop kommen, ist sehr unterschiedlich – auch in Stuttgart. „Wir haben unseren Laden 1994 eröffnet und von Anfang an komplett die Ware von Kunden auf Kommission genommen und bezahlt, wenn wir sie verkauft haben“, erzählt Andrea Stigler, Besitzerin des Secondhand-Shops Second Dreams in der Tübinger Straße. Sprich: Privatkunden kommen bei ihr vorbei und geben ihre aussortierten Sachen ab – und was am Ende nicht verkauft wird, muss man wieder mitnehmen. „Inzwischen haben wir aber auch verschiedene Kollektionsreste, etwa  von der Designerin Liv Bergen.“ Das sind angekaufte Label-Teile, die für Fotoshootings getragen wurden oder wegen kleiner Fehler zur B-Ware gehören.

Beim nahegelegen Vintage Markt sieht die Sache anders aus. „Man kann bei uns nichts abgeben“, sagt Christina Feldmer. „Wir bestellen speziell bei Vintage-Großhändlern nach Warengruppen – zum Beispiel 20 Kilo Jeansjacken von verschiedenen Marken in verschiedenen Größen.“ Die Großhändler beziehen ihre Sachen wiederum aus mehreren Ländern, „sehr viel aus Deutschland, aber auch aus Amerika zum Beispiel.“ Eigentlich eine gute Sache. Schade nur, dass die zum Teil langen Lieferwege trotzdem an der Ökobilanz nagen.

Eine dritte Möglichkeit für Secondhand-Shopping sind die Sozialkaufhäuser in Stuttgart. „Wir importieren nicht, wir kaufen auch nichts zu, wir leben ausschließlich von Spenden“, so der Fachbereichsleiter Rolf Kaltenberger. „Entweder bringt man das bei uns direkt in die Kaufhäuser oder in einen unserer Kleidercontainer.“ Die gespendeten Klamotten werden dann sortiert und in der entsprechenden Region verkauft – wer seine Sachen zum Beispiel in Cannstatt oder Wangen abgibt, kann sich sicher sein, dass sie auch genau in dem Stadtteil verkauft werden. Alles, was unbrauchbar und nicht mehr verkäuflich ist, gibt das Kaufhaus an einen zertifizierten Recycler weiter. „Das geht dann auch nicht ins Ausland, sondern wird zum Beispiel zu Dämmstoffen weiterverarbeitet.“

So ähnlich läuft es auch in den Stores von Anton Vaas von der Aktion Hoffnung. Er betreibt unter anderem den Shop Future Fashion X Secontique mit. Auch hier kann man seine Kleiderspenden direkt im Store abgeben. „Diese sortieren wir alle von Hand aus und nehmen die am besten erhaltenen Kleidungsstücke für unseren Verkauf“, sagt er. „Mit den Erlösen aus den Verkäufen finanzieren wir nachhaltige Sozialprojekte weltweit, zum Beispiel ein Kinderheim in Venezuela oder einen Brunnenbau in Uganda.“

Was sich nicht mehr für den Verkauf bei Future Fashion eignet, wird an einen Sortierpartner weitergegeben. Von dort aus geht die noch tragbare Kleidung in den weltweiten Secondhand-Handel oder wird – wenn die Stücke wirklich nicht mehr zu gebrauchen sind – zu Malervliesen, Putzlappen oder Dämmmaterialien für die Automobilindustrie weiterverarbeitet.

Vaas‘ Tipp: Beim Spenden an Kleidercontainern ist es wichtig, sich darüber klar zu werden, wem man seine Klamotten anvertraut. „Im Zweifelsfall kann sich der Spender am Siegel des Dachverbands FairWertung orientieren. Bei Kleidercontainern, auf denen dieses Zeichen zu erkennen ist, können sich KleiderspenderInnen sicher sein, dass mit der Kleidung verantwortungsbewusst umgegangen wird und die Erlöse ausschließlich ge­meinnützigen Zwecken dienen.“

Das „Woher und Wohin“ spielt im Secondhand-Geschäft also eine bedeutende Rolle. Grundsätzlich gilt aber vor allem eines: „Die nachhaltigste Mode ist die, die gar nicht produziert wird“, so Anton Vaas. Eine Meinung, die auch Klaus Meier und Kai Nebel von der Hochschule Reutlingen teilen. „Secondhand ist dann gut, wenn ich es lange nutze oder aus dem Secondhand auch Third-, Fourth- und Fifthhand wird“, sagt Nebel.

Eine genauso simple wie wichtige Regel ist zudem, sich zu überlegen, ob man die Dinge wirklich braucht, so Meier. „Wir werden nicht dadurch nachhaltig, dass wir mehr konsumieren. Vor allem, wenn ich dafür ein anderes Kleidungsstück wegschmeiße. Je länger und öfter ich etwas trage, umso besser.“  

Julia Mähl

 

Second Dreams [Tübinger Str. 70, S-Süd, Mo-Fr 11-19, Sa 11-15 Uhr, www.second-dreams.de]

Vintage Markt [Tübinger Str. 74, S-Süd, Mi-Sa 11-18 Uhr, www.vintage-markt-stuttgart.de]

Sozialkaufhäuser Stuttgart [mehrere Standorte, www.daskaufhaus.de; www.caritas-stuttgart.de]

Future Fashion Store – Secontique [Sophienstr. 21 (Das Gerber), S-Mitte, Mo-Sa 10-20 Uhr, www.futurefashion.de]

 

Dieser Artikel ist aus LIFT 08/22

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