Kulturschaffende trifft die Corona-Krise besonders hart

Ist es schon Zeit für Plan B?

Kulturschaffende trifft die Corona-Krise besonders hart. Viele satteln um. In unserer März-Ausgabe haben wir mit StuttgarterInnen gesprochen und nach ihrem Plan B gefragt.

Marius Lehnert: vom DJ zum Corona-Tester

„Am 7. März 2020 war mein letzter Gig in Hamburg“, erinnert sich Marius Lehnert. Seitdem steht das Nachtleben still. „Im Sommer gab's zwar ab und an Open-Air-Sitz- und Biergarten-Konzepte, bei denen man auflegen konnte, aber das ist nicht ansatzweise erfüllend“, so der Stuttgarter DJ und Veranstalter. Sein Terminkalender war lange Zeit leer. Ein Grund, nun wieder seinem gelernten Beruf des Gymnasiallehrers nachzugehen?

Im Gegenteil: Gemeinsam mit Freunden begann er im Dezember nämlich, mit seinem Großveranstaltungs-Know-how Corona-Schnelltestzentren aufzubauen und zu organisieren. Zum Beispiel im ehemaligen zweiten Floor des Lehmanns Clubs am Berliner Platz: „Die Gebäudestruktur ist perfekt geeignet, Ein- und Ausgang sind voneinander getrennt“, erklärt Lehnert.

Mittlerweile sind die Schnelltestanbieter an 40 Standorten in Deutschland vertreten, „das Witzige ist, dass das fast alles RaverInnen, ClubbesitzerInnen und VeranstalterInnen sind“, freut er sich. Für ihn eine Win-Win-Situation: Man leistet etwas gesellschaftlich Wichtiges und ermöglicht gleichzeitig den Nachtkulturschaffenden wieder einen Verdienst. „Ich bin aktuell so ausgelastet wie schon lange nicht mehr“, resümiert der Stuttgarter.

Denis Edelmann: Ausbildung statt Musical

„Als damals alle Absagen auf einmal kamen, war es die Hölle“, erinnert sich der Ludwigsburger Musical-Darsteller Denis Edelmann. Ihm stand keine Künstlersoforthilfe zu, weil er nicht freischaffend war, aber die Theater, mit denen er Verträge über Gastspiele hatte, sahen sich zunächst auch nicht in der Pflicht. Drei Monate blieb Edelmann ohne Einkommen, dann entschied er sich zu einem radikalen Cut: einem Job im Supermarkt.

Zwar wurde er mit seinem Plan B nicht wirklich warm, sehr wohl aber mit Plan C: „Nun arbeite ich bei der Diakonie in Stetten mit behinderten Menschen und starte im Herbst eine Ausbildung“, sagt Edelmann – und klingt glücklich. „Ohne Corona wäre ich nie auf die Idee gekommen, meine Künstlerkarriere aufzugeben.“ Nun habe er sich aber tatsächlich in seine Arbeit verliebt.

Zwar vermisse er die Bühne, nicht aber das ständige Reisen und die finanzielle Unsicherheit – manchmal brauchte er bis zu drei Jobs gleichzeitig, um sich dieses Leben leisten zu können. „Jetzt bin ich viel ruhiger geworden und freue mich darauf, im eigenem Bett zu schlafen“, sagt der Ludwigsburger. So ganz ohne Bühne will er dann aber doch nicht bleiben: In seiner Freizeit lernt er gerade Gitarre, um nach der Pandemie eine Band zu gründen – als Hobby.

Sabine Schief: von der Kabarettistin zur Trauerrednerin

Die Kabarettistin Sabine Schief wirft so schnell nichts aus der Bahn – auch Corona nicht. Anstatt die Menschen auf der Bühne zum Lachen zu bringen, spendet ihnen die Stuttgarterin nun Trost – als Trauerrednerin. „Wenn ich die Menschen nicht mehr unterhalten darf, was fange ich mit meinen Gaben an? Ich habe die Gabe, die Leute dort abzuholen, wo sie stehen und ihnen die Worte zu geben, die ihnen jetzt gerade guttun“, erklärt Schief.

Zwar waren es die Umstände, die sie zum Umsatteln zwangen, schwer fiel er diese Entscheidung aber nicht: „Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass ich damit weitermache, selbst wenn das Kabarett wieder anläuft – weil ich mich da wirklich sehr wohl fühle.“ Denn wie im Kabarett gehe es auch bei einer Trauerrede darum, die Menschen mit einem besseren Gefühl nach Hause zu schicken.

Caro Mendelski: Sprecherin mit Auftragsglück

2020 begann für Caro Mendelski, hauptberuflich Sprecherin, mit einer Schockstarre im ersten Lockdown: „Ich arbeitete weniger, hatte kaum Aufträge. Alle waren unsicher,“ erinnert sie sich. Auch Mendelskis Projekte als freiberufliche Schauspielerin platzten.

Doch dann kam es anders als gedacht: Die Auftragslage als Sprecherin wurde nicht weniger, im Gegenteil. Mendelski ist nun unter anderem die feste Trailerstimme des Fernsehsenders Arte, spricht für Werbung, Hörbücher, Spielzeugstimmen und Film ein. „Ich bin bei einem Studio gelandet, das viele Aufträge in der Unterhaltungsbranche bekommt“, so die Stuttgartern. Ein echter Glücksfall – denn Streamingdienste wie Netflix und Co. zählen zu den Gewinnern der Krise.

Auch in einem anderen Bereich fasste Mendelski Fuß: Aufgrund der Pandemie richtete sie sich ein Homestudio ein und sychronisiert dort nun auch Playstation-Spiele.

Marie Louise Lutz: Krankenbett statt Mikro

Im ersten Shutdown brach für die Sängerin aus Bad Canstatt zunächst alles weg: Weder durfte sie Konzerte geben noch als Musiklehrerin unterrichten. „Da gab es schon kurz den Gedanken, ob ich in mein altes Leben als Krankenschwester zurückkehren sollte“, erinnert sich Lutz. Das tat sie dann auch – allerdings nur ehrenamtlich, um als Sitzwache Schwerkranken oder Demenzpatienten Gesellschaft zu leisten: „Weil keine Angehörigen ins Krankenhaus durften, wollte ich etwas Sinnvolles mit meiner Zeit tun“, so Lutz. Daraus ergaben sich auch Konzerte im Patientengarten.

Nachdem sie selbst lange mit einer Covid-Erkrankung zu kämpfen hatte, geht es wieder aufwärts: Sie gibt viele Online-Konzerte und trat bei der Silvestergala im Theaterhaus auf. Auch an der Musikschule kann sie online wieder unterrichten und so ihren Lebensunterhalt sichern. „Jetzt hoffe ich natürlich auf viele Open-air-Gigs im Sommer.“

Nikita Gorbunov: der Spoken Word Poet bleibt sich treu

Ob als Poetry Slammer, Musiker oder in der Jugendarbeit, nie hat Nikita Gorbunov auf nur ein Pferd gesetzt. In der Corona-Krise kommt ihm das – allem Frust zum Trotz – zugute: „Zwar sind meine Umsätze um 30 bis 40 Prozent eingebrochen, aber als Kassierer würde ich immer noch weniger verdienen“, sagt er und lobt die Hilfen aus der Politik. „Der Fokus hat sich vom Tagesgeschäft eben auf Neuentwicklung verschoben, weil der Run auf die Fördergelder einen dazu zwingt, sich mit der aktuellen Situation zu befassen“, so Gorbunov.

Etwa beim Projekt „Wer hat Angst vor der Party- und Eventszene?“, das sich durch Performances und Interviews mit der „Wiedereingliederung“ von Kulturschaffenden in die Gesellschaft befasst. Der Bedarf an Kunst und Kultur sei weiter groß, stellt er fest: „Die Kulturszene arbeitet permanent Aufträge ab.“ Ein Plan B kam für ihn nie in Frage: „Ich bin ausgebildeter Tontechniker, das wäre noch katastrophaler.“

David Müller: vom Schauspieler zum TikTok-Star

David Müller ist Berufsschauspieler am Schauspiel Stuttgart und seit Mitte Juli in Kurzarbeit. Mit dem zweiten Lockdown wurde der Spielbetrieb bis mindestens Ende März ausgesetzt. „Meine letzte Vorstellung war Mitte Oktober, meine letzte Probe Ende November“, erinnert er sich. Statt auf der Bühne findet man ihn jetzt auf Tiktok. Und dort ging sein Kanal durch die Decke.

Mittlerweile hat Müller fast 50.000 Follower, sein erfolgreichstes Video – eine performative Zusammenfassung von Schillers Räuber – hat mehr als 300.000 Views und 3.000 Kommentare. In Live-Streams trägt er Gedichte vor, improvisiert mit fiktiven Charakteren oder spielt auch mal Theaterstücke. Als Alternative zur Theaterkarriere sieht er die Social-Media-Plattform aber nicht: „Einen Plan B zur Schauspielerei habe ich nicht, ich denke immer nur bis zur nächsten Produktion“, sagt Müller bestimmt – und hofft auf wärmere Temperaturen.

KünstlerInnensoforthilfe Stuttgart

Die unbürokratische Unterstützung für Menschen in der Kulturarbeit 

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Dieser Artikel ist aus LIFT 03/21

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