Vor Ort: Mit spannenden Menschen an spannenden Plätzen
Mit Sarah Heim, Landessprecherin der Grünen Jugend

Folge 137: Mit Sarah Heim, Landessprecherin der Grünen Jugend BW vor der Daimler-Zentrale in Stuttgart-Untertürkheim
An diesem Freitagmorgen hängt eine graue Wolkendecke über Stuttgart-Untertürkheim und der Daimler-Konzernzentrale, auf deren Vorplatz wir mit Sarah Heim verabredet sind. Die Sonne will nicht so recht – dafür ist die Vorsitzende und Landessprecherin der Grünen Jugend Baden-Württemberg überpünktlich und gut gelaunt.
„Sicher wird es viele wundern, warum wir uns ausgerechnet vor dem Daimler-Werk treffen“, lacht Heim. Stimmt, denn eigentlich hat sie nichts mit Autos zu tun. Sie besitzt nicht mal einen Führerschein. „Ich denke aber oft darüber nach, wie die Existenz der Beschäftigten im Land gesichert werden kann, ohne dass sie ihr ganzes Leben in einem Job arbeiten, der unseren Planeten verheizt.“ Die Daimler-Zentrale ist deshalb für die 24-Jährige ein Symbolbild der Transformation vor der wir nicht nur in Baden-Württemberg stehen.
„Das Land profitiert seit Jahrzehnten davon, dass hier Autos mit Verbrennungsmotoren gebaut werden.“ Dabei steht ein Wandel hin zur E-Mobilität bevor, dem wir in Stuttgart noch hinterher hinken, meint Heim. „Im Stammwerk in Untertürkheim gibt es etwa 19.000 Beschäftigte, 4.000 davon werden bis 2025 ihren Job verlieren.“ Den Leuten Zuversicht und Perspektiven zu bieten, ist die größte Herausforderung der nächsten Jahre, da ist sie sich sicher. „Aber die Politik hat Schiss vor Veränderungen – beim Thema Jobverlust schrecken alle erst mal zurück.“
Heim ist im elsässischen Wissembourg direkt an der deutsch-französischen Grenze aufgewachsen und wurde dreisprachig erzogen – ihre Mutter ist Französin, ihr Vater Deutscher, sie verständigen sich auf Englisch.
Als Kind besucht sie einen deutschen Kindergarten, ihre Schulzeit setzt Heim auf einer französischen Schule fort – bis sie mit 15 alles hinschmeißen will. „Mir hat das französische Schulsystem einfach nicht gefallen. Man muss sehr viel auswendig lernen und in der Prüfung spuckt man es wieder aus.“ Die Politikerin setzt sich stattdessen lieber kritisch mit Themen auseinander, will eigene Gedanken entwickeln, erzählt sie, während wir zum Neckar-ufer spazieren. „Hier gehe ich immer mit meinem Hund joggen“, sagt sie plötzlich. Ihr Ausgleich zur Arbeit – denn das Fußballtraining, das sie sonst regelmäßig besucht, fällt wegen Corona gerade flach.
Dass Heim mit 24 Jahren an der Spitze der Grünen Jugend steht, kommt nicht von ungefähr. Ebenso früh dran wie zu unserem Treffen war die Jungpolitikerin, was ihr politisches Engagement angeht. Mit 15 Jahren verlässt sie tatsächlich die Schule, um das Abi im Ausland zu absolvieren. Die Eltern sind überrascht, aber willigen ein. Also verbringt Heim die letzten Jahre ihrer Schulzeit in Bosnien. Ein wichtiger Grundstein, der ihr den Weg in die Politik ebnet.
Vor Ort kommt sie schnell in Kontakt mit der lokalen Bevölkerung und engagiert sich in der örtlichen Geflüchtetenhilfe. Nach nur drei Monaten übernimmt sie die Koordination der Gruppen im Geflüchtetenlager. Kein Wunder, dass ihr das Thema Asylpolitik bis heute am Herzen liegt. Während wir den geisterhaft leeren Cannstatter Wasen überqueren, erzählt sie von zwei minderjährigen Geflüchteten aus Böblingen, die Ende letzten Jahres ohne Eltern und Sprachkenntnisse nach Albanien abgeschoben wurden. „Für mich ist es mega bitter, dass die CDU wieder das Innenministerium und das Justizministerium besetzt. Es sind Menschenleben, die da in der Asylpolitik in Gefahr gebracht werden.“
Beruflich hat Heim mit der grün-schwarzen Koalition nur wenig am Hut. Als Büroleiterin des Europaabgeordneten Michael Bloss verbringt sie ihre Tage normalerweise in Zügen durch Baden-Württemberg, nach Berlin und Brüssel. Seit der Pandemie sitzt sie stattdessen vor dem Bildschirm und arbeitet an Hygienekonzepten für Veranstaltungen, die doch nur digital stattfinden. „Mir fehlt die Rückmeldung der Leute vor Ort.“ Die Situation deprimiert die kontaktfreudige Politikerin, das merkt man ihr an.
Noch mehr Sorgen macht sie sich allerdings in Sachen Bildung: „Ich habe echt Angst, dass es eine Corona-Generation geben wird, die sich abgehängt fühlt.“ Also setzt sie sich als Sprecherin der Grünen Jugend unter anderem für finanzielle Unterstützung im digitalen Bildungsbereich sowie in der Sozialarbeit ein. „Wenn wir nichts tun, riskieren wir in Zukunft den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.“ Darin sieht Heim auch Entwicklungen wie die Querdenken-Bewegung begründet. Als die QuerdenkerInnen im April durch Stuttgart zogen, stand sie für die Grüne Jugend selbst in den Reihen einer Gegendemo.
Was sie 2018 nach ihrem Studium der Internationalen Beziehungen in Vancouver in den Kessel verschlagen hat? Der Weihnachtsmarkt, Besuche bei der Oma – und ein Date. „Daraus wurde nichts, dafür habe ich Stuttgart lieben gelernt“, lacht sie.
Schnell wird Heim auch hier politisch aktiv. Vor der Männerdomäne in der Politik zurückzuschrecken, kommt für sie nicht infrage. Fremd ist ihr die Diskriminierung von Frauen in politischen Ämtern trotzdem nicht: „Als junge Frau wird man zwangsweise damit konfrontiert“, sagt sie. „Wenn man sich Annalena Baerbock anschaut und die ganze Diskussion darüber, dass sie als Mutter Kanzlerin werden will – das ist so veraltet.“
Heim jedenfalls steht hinter der grünen Kanzlerkandidatin. „Es ist ein wichtiges Signal, dass eine relativ junge Frau die Zügel der Grünenspitze übernimmt.“ Gleichzeitig sind ihre Erwartungen an den oder die neue BundeskanzlerIn hoch. „Die letzten Jahre sind in Deutschland in Zeitlupe vorangegangen. Die nächste Bundesregierung wird da richtig viel zu tun haben, wenn sie das ernst nimmt. Von Annalena erwarte ich, dass sie beim Klimaschutz auf die Tube drückt.“
Als wir auf ihre eigene Zukunft bei den Grünen zu sprechen kommen, reagiert Heim zurückhaltender: „Aktuell fühle ich mich auf der Landesebene wohl, weil man nah genug an den Menschen dran ist.“ Doch was kommt nach der Grünen Jugend? Da ist nämlich mit spätestens 28 Jahren Schluss. Da möchte sie sich noch nicht festlegen, vielleicht geht’s noch einmal ins Ausland. Um die Partei macht sie sich aber keine Sorgen: „Ich glaube, dass es im Land Nachwuchs braucht, der neue Ideen mitbringt.“ Davon jedenfalls hat Sarah Heim genug.
Es ist halb elf, sie muss los. Wir verabschieden uns an der Bushaltestelle – denn um elf Uhr wartet die nächste Besprechung – da ist sie besser zu früh dran als zu spät.