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Mit Nachtmanager Nils Runge im Wernhaldenpark

Folge 135: Mit dem neuen Nachtmanager Nils Runge im Wernhaldenpark

Es ist sein erster Termin an seinem ersten Arbeitstag: Nils Runge ist seit dem 15. März offiziell der erste Nachtmanager, den Stuttgart hat und rutscht beim Aufstieg auf den Bopser in Stuttgart-Süd fast aus. Nicht so beim beruflichen Aufstieg: Den hat er trotz einiger Hürden – Online-Voting zu den Top-5-BewerberInnen, Live-Streaming der öffentlichen Präsentation und Fragerunde der Kandidatinnen und Kandidaten sowie das abschließende persönliche Bewerbungsgespräch – 1A gemeistert. Da hat’s aber auch nicht geregnet.

„Im Winter lag hier überall Schnee und Leute sind mit dem Schlitten und Snowboard den Berg heruntergedüst“, erinnert sich der neue Pop-Büro-Mitarbeiter, während er versucht auf dem matschigen Hügel das Gleichgewicht zu halten.

Die guten Balance-Skills wird er auch in Zukunft brauchen: Gemeinsam mit einem oder einer ProjektleiterIn soll er fortan das Nightlife in Stuttgart voranbringen und als Teil der Koordinierungsstelle Nachtleben zwischen Politik, Verwaltung, EinwohnerInnen und Nacht-Gastronomie – Kneipen, Bars und Clubs inkludiert – vermitteln. Runge als Manager und Mediator, der oder die ProjektleiterIn als KoordinatorIn und VerwalterIn. Die zweite Stelle ist allerdings seit Kurzem wieder offen, die ursprünglich geplante Besetzung, Thorsten Neumann, hat sie aus persönlichen Gründen kurzfristig doch abgelehnt. Ein Shitstorm auf den sozialen Medien war dem vorausgegangen. Die geäußerte Kritik betraf zum einen negative Äußerungen Neumanns zu Stuttgart, zum anderen die Tatsache, dass keine der beiden Stellen mit einer Frau besetzt wurde.

Kein einfacher Start für Runge, wenn man noch die teils gegensätzlichen Positionen am Round Table of Stuttgarter Nightlife bedenkt. Gut, wenn man einen Ort zum Entspannen hat: „Ich bin gerne in Clubs unterwegs, mindestens genauso gern aber in der Natur“, sagt er. 

In den Wernhaldenpark, nicht weit von seiner Wohnung entfernt, kommt er regelmäßig, um runterzukommen, die Gedanken zu sortieren, Sonne zu tanken und den einen oder anderen Sekt mit Freundinnen und Freunden zu köpfen.

„Im Sommer finden hier sogar manchmal Partys statt“, weiß der 33-Jährige. Illegal, klar. „Das ist ein Problem, das ich unter anderem angehen möchte“, kündigt er an: mehr öffentliche Freiflächen für Events in Stuttgart, die von kleineren VeranstalterInnen genutzt werden können. „Den Leuten fehlen Orte, an denen sie sich ausprobieren können“, erklärt er. „Junge Kreative und Event-MacherInnen haben nicht von Anfang an die Möglichkeit was in einem Club zu starten.“ Die Folge: Feierlichkeiten im Grünen und im Wald, die keiner kontrollieren kann.

Zu allererst wird Runge aber erst mal mit Neumann die Köpfe zusammenstecken und gemeinsame Ziele formulieren, kurzfristige und langfristige. Auf lange Sicht muss sich die Wahrnehmung von Clubkultur in den Köpfen der Menschen ändern, meint er. „Clubs werden gesetzlich immer noch mit Casinos und Bordellen gleichgesetzt, das wirkt sich nicht nur auf die öffentliche Meinung aus, sondern sorgt auch dafür, dass sie vor dem Gesetz nicht als schützenswerte Kulturräume betrachtet werden.“ Denn: Schließt ein Theater, kommt ein neues rein, schließt ein Club, ist die Location Freiwild für alle Primarks dieser Welt. „Das darf nicht sein“, sagt Runge. 

Offiziell lautet die Aufgabenstellung, sich um die Weiterentwicklung der Themen Nachtkultur, Nachtökonomie und Nachtsicherheit in Stuttgart zu kümmern. Seitens der Wirtschaftsförderung, bei der Neumanns Stelle angesiedelt ist, freut man sich aber auch den Im-Nightlife-Tätigen „in der derzeitigen Pandemie-Situation direkte Ansprechpartner“ liefern zu können. Denn die Branche blutet: „Die KünstlerInnen und VeranstalterInnen haben es extrem schwer“, weiß Runge und wiederholt dabei nicht nur den monotonen Sing-sang, der seit Monaten rauf- und runtergespielt wird.

Der gebürtige Freiburger kommt selbst aus der Branche, hat einen Bachelor in Freizeit- und Kulturmanagement gemacht, dann jahrelang als Projektleiter für Medientechnik bei Großveranstaltungen wie Rolling-Stones-Konzerten und Champions-League-Spielen gearbeitet.

„Das Kulturelle hat mir aber irgendwann gefehlt“, berichtet er. Also ging’s in der Freizeit ab in die ehrenamtliche Kulturszene: Mit dem  Stuttgarter Kulturverein Contain’t und dem DJ Kollektiv Waltraud Lichter sorgte er, bis Corona dazwischenfunkte, für zahlreiche Partys, Kultur- und Kunst-Events im Kessel. Gleichzeitig legte er mit seinem Master in Freizeit- und Kulturmanagement los, verbrachte sein Praxissemester bei der Kunststiftung Baden Württemberg und befindet sich gerade in den letzten Zügen seiner Masterthesis.

Und wie studiert es sich so während Corona? „Zum Glück war nur mein letztes Semester digital, und auch da waren es lediglich Blockveranstaltungen, die ich online besuchen musste.“ Die Freude darüber spricht aus seinem Gesicht. „Ich hätte nicht während Corona mit dem Studium anfangen wollen. Da bleibt alles auf der Strecke, was so ein Studium ausmacht, man lernt keine Kommilitonen und Kommilitoninnen kennen.“

Nils Runge ist ein Kommunikations- und Vernetzungstier. Der gemeinsame Austausch ist ihm wichtig, er inspiriert ihn und bereichert seine Arbeit. Dasselbe wünscht er sich auch für die Stuttgarter Clubszene: „Wenn ihr als Club etwas in Stuttgart bewegen wollt, tretet dem Club Kollektiv bei“, rät er. Der Interessenverband der Club-, Party- und Kulturveranstalter Stuttgarts ist einer der Akteure, mit denen sich die Koordinierungsstelle Nachtleben künftig zusammensetzen wird.

Was die Kommunikation mit einzelnen Stuttgarter Clubs und Bars angeht, hat Runge sich in den letzten Wochen vor Amtsantritt aber bewusst zurückgehalten: Durch seine Tätigkeiten für Contain’t und Waltraud Lichter ist er vor allem mit Kulturschaffenden aus dem elektronischen Bereich bekannt. Dass das auf andere voreingenommen wirkt, will er unbedingt vermeiden: „Ich möchte für alle gleichermaßen da sein und jetzt mit allen Beteilgten das Gespräch suchen“, stellt er klar. „Das selbe gilt auch für die Politik.“ Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Und Befindlichkeiten sind in Stuttgart bekanntlich besonders feines Geschirr.

An die Koordinierungsstelle, für deren Einrichtung gefühlte Birkenköpfe versetzt werden mussten, sind dementsprechend hohe Erwartungen geknüpft. Dass er an ihrem Erfolg nicht interessiert ist, kann man Runge jedenfalls nicht vorwerfen: „Ich bin schon in Kontakt mit dem ehemaligen Nachtbürgermeister von Mannheim. Der hat mir Tipps gegeben und von seinen Erfahrungen erzählt: Teilweise saß er bis nachts um vier in Gesprächen und hat zwischen BarbesitzerInnen und AnwohnerInnen verhandelt.“ Abgeschreckt hat das den studierten Kulturmanager aber nicht: „Dass das kein Nine-to-Five-Job ist, war mir schon klar.“

Dieser Artikel ist aus LIFT 04/21

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