Vor Ort mit Markus Brodbeck

Mit spannenden Menschen an spannenden Orten

Folge 154: Am Kleinen Schlossplatz mit Model- und Casting-Agenturchef Markus Brodbeck

„Ich habe meine eigene Requisite mitgebracht“, ruft es vom oberen Ende der Treppe. Markus Brodbecks Vespa passt in der Tat hervorragend aufs Bild. Es ist eine von vieren in seinem Besitz. „Die hier ist Jahrgang 1963, ich habe sie vor Jahren für 200 Euro am Gardasee gekauft“, erklärt der Stuttgarter, den die meisten als „Brody“, Gründer und Kopf der Model- und Casting-Agentur Brody Bookings kennen. Die Macken an seinem Gefährt müsste man an mehreren Händen abzählen, überall platzt der Lack ab. „Ich mag das“, sagt der Vespa-Fan. Er wollte extra ein altes Teil, das knattert, Macken hat und augenscheinlich eine Geschichte mitbringt. Mit Glanz und Perfektion kann er wenig anfangen. Solange sie ihn jeden Sonntagmorgen von Mitte bis Gablenberg fährt, wo er beim Königsbäck seine Brezeln kauft („die haben die Besten!“), passt ja alles.

Wir treffen Brody um acht Uhr morgens am Kleinen Schlossplatz. Einer von vielen Plätzen der Stadt, die für ihn und den Verlauf seines Lebens prägend waren, wie er sagt. „Aber eigentlich gibt’s keinen mehr davon“, stellt er fest, „alles plattgemacht und neu gestaltet.“ Kein Südmilchareal am Nordbahnhof mehr, kein Radio-Barth-Gebäude mehr am Rotebühlplatz. Auch hier am Kleinen Schlossplatz ging 2002 mit dem Abriss der Freitreppe, der Neugestaltung und der Errichtung des Kunstmuseums eine Ära zu Ende. „Hier war früher ein Mövenpick-Restaurant, so ein Brutalo-Architektur-Ding wie es sie noch in Bratislava gibt. Das hatte eine Terrasse vorne und man konnte richtig gucken“, erinnert sich der Agenturgründer. Die Aussicht, die Möglichkeit hoch, runter und in den Kessel zu gucken, statt nur in die Ebene reinzustieren, ist für ihn eine wichtige Besonderheit von Stuttgart.

Viel zu gucken gab‘s zu Zeiten des Mövenpick-Restaurants aber auch dahinter. „Hinter dem Restaurant befanden sich ein Kartenhäuschen und ein italienisches Bistro, später Pauls Boutique und das Switzerland“, erzählt der Stuttgarter. In den beiden Bars versammelte sich in der zweiten Hälfte der 90er die Szene der Stadt. In Pauls Boutique zum Caipis kippen, im Switzerland, um gepflegt anzustoßen. „Und Pauls Boutique hat die Gastro-Szene hier nachhaltig geprägt – zum einen mit den Leuten, die dort gearbeitet haben, zum anderen gestalterisch mit der dicken, schönen, langen Theke, die sich hinter einer Glasfront befand.“ Brody spielt unter anderem auf die langen Theken der Suite auf der Theo und das Bravo Charlie am Hauptbahnhof an. Beide gibt es nicht mehr.

„Damals war die Stadt spannend, sogar spannender als jetzt – selbst wenn man die rosarote Historienbrille weglässt“, findet der Stuttgarter. „Die Stadt hatte eine House-Kultur, eine Techno-Kultur und eine HipHop-Kultur, die damals alle groß geworden sind.“ Er erinnert sich an die Zeiten, als er mit der ersten Bahn morgens heim nach Wernau gefahren ist oder heimlich nachts das Auto seines Vaters aus der Garage („Vom Motorengeräusch wären meine Eltern aufgewacht!“) und wieder reingerollt hat, um nach Stuttgart zu fahren.

Mittlerweile, stellt Brody beim Spaziergang durch die Innenstadt fest, habe Stuttgart immer weniger Stuttgarter Gesicht. Vieles sei austauschbar geworden, die Geschäfte und die Karten. „Überall Scaloppine, Pizza und Pasta“, ärgert er sich über die Reduktion italienischer Küche auf die German Top Ten. „In Italien hat jedes Lokal eine andere Karte, in jeder Region wird anders gekocht.“ Einer der Gründe, warum er zunehmend zuhause bleibt und selbst kocht, was er in Stuttgart vermisst.

Als wir auf die Nachfolge der Salsabar Cortijo am Hans-im-Glück-Brunnen zu sprechen kommen, die ab November vom ehemaligen Sakristei-Team als Kneipe mit Tacos auf der Karte bespielt wird, wird er hellhörig: „Da muss ich mal vorbeischauen. Hoffentlich kochen die gescheit.“ Bei einem Auslandssemester in Mexiko, bei dem er mehr gesurft hat, als zu studieren, hat Brody die mexikanische Küche lieben gelernt. Seitdem wird zuhause Mole gekocht, werden die Tortillas in der eigenen Tortillapresse selbst ausgebacken.

Dreimal die Woche verdient er sich damals im Nightlife als Türsteher, Barkeeper und DJ Geld dazu, allem voran im Zapata und Unbekannten Tier. Berührungsängste? Keine Spur. „Ich habe alles gemacht, mir macht alles Spaß“, lacht Brody. Zu seinen Studi-Jobs zählt auch eine halbjährige Beschäftigung als Anzeigenverkäufer beim lokalen Programmheft „K-Tipps“ – „darin war ich nicht so erfolgreich“ – sowie eine Grafikertätigkeit für die Stuttgarter Motorpresse, genauer gesagt für die Magazine „Lastauto Omnibus“ und „Motor Klassik“. „Ich fand das damals irgendwie spannend, kein Normalsterblicher wusste ja, wie so eine Redaktion funktioniert“, sagt der heutige Agentur-Inhaber, der seine Faszination für die Print-Medien bis heute nicht abgelegt hat.

Während wir einen Kaffee trinken, erzählt er, vom Taz-Abo, das er seit seiner Studi-Zeit bezieht, und wie sich die Zeitung innerhalb der letzten zwei Jahre zum Schlechten hin verändert hat, von den guten und schlechten Stücken, die er am Wochenende gelesen hat und dass er überlegt, das Geld lieber dem Wochenmagazin Kontext zu spenden. „Dabei ist es mir jeden Cent wert, wenn ich nur eine Stunde am Wochenende gute Artikel lesen kann“, beteuert er.

So sah es in Brodys jungen Jahren auch eher nach einer Karriere im Bereich der Print-Medien aus. Geboren in Esslingen, aufgewachsen in Wernau – „das ist dort, wo jetzt auch die S-Bahn hinfährt“, lacht er – möchte er erst mal Grafikdesign studieren. Nach einem gescheiterten Bewerbungsgespräch an der Merz Akademie entscheidet er sich für eine Lehre zum Druckformhersteller bei einer kleinen Werbe-Agentur in Ochsenwang hinter Kirchheim/Teck. „Danach wollte ich aber wissen, wie das große Spiel geht“, erinnert sich Brody. Kurzum bewirbt er sich an der Fachhochschule für Druck und Medien und geht dann erst mal zwei Monate in Südspanien surfen. Denn: Der NC ist zu hoch, die einzige Möglichkeit für ihn, angenommen zu werden, ist das Nachrückverfahren – durch das er dann tatsächlich angenommen wird und fluchtartig Spanien gen Stuttgart verlassen muss, um rechtzeitig zur Einschreibung da zu sein. „Ich habe auf dem Campingplatz meinen ganzen Schrott verkauft, damit ich die Campinggebühr zahlen konnte und bin dann mit einem uralten R4 wieder heimgetuckert“, erinnert sich Brody.

Das Studium für Werbung, Werbewirtschaft und Werbetechnik entpuppt sich aber als mühsam und wenig gewinnbringend für jemanden, der bereits in der Werbung gearbeitet hat. „Da waren relativ wenige coole Leute dabei, die meisten kamen da mit ihren silbernen Aktenköfferchen, Polo-Hemd und hochgestelltem Kragen an und haben sich schon bei Jung von Matt gesehen“, lacht der Model-Agentur-Besitzer. Also macht er lieber zig Nebenjobs, wurstelt sich durchs Stuttgarter Nightlife und schläft morgens aus, statt in der Uni zu sitzen. „Meine Scheine habe ich trotzdem geschrieben und am Ende den Diplomingenieur gemacht“, beteuert Brody. Hat aber auch heute noch Albträume, dass er das Studium nicht abschließen konnte, weil er irgendwas nicht geschafft hat.

Als schicksalshaft erweist sich stattdessen eine Aufgabe, die er vom damaligen Türsteher des Unbekannten Tiers erhält: Der ist gerade dabei seinen Abschlussfilm für Filmregie an der Filmakademie Ludwigsburg zu drehen und braucht rund 100 Leute, am besten auch ein paar bekannte Gesichter, dafür. Brody ist der Richtige für den Job, immerhin kennt er die halbe Stadt. Gesagt, getan. „Ich habe ihm die hundert Leute und auch Bubbi Schuster und Thomas D. in den Film reingesetzt.“ Ein bisschen Stolz hört man immer noch in seiner Stimme.

Aber nachdem das Ding abgedreht war, sollte es nicht aufhören: Die gecasteten Personen hatten Spaß gehabt, wollten weitermachen. Und so versucht Brody sie bei seinen bekannten Fotografen, Axl Jansen und Darius Ramazani, unterzubekommen. Die wiederum haben Bedarf an anderen Faces für Werbe-Kampagnen, fliegen den Caster zum Teil nach London aus, um passende Gesichter für Werbe-Projekte zu finden, weil er ein einzigartiges Segment bedient – echte, authentische Menschen mit Charakter statt glatte Werbegesichter – und das eine kommt zum anderen: Brody gründet Brody Bookings.

Mit seiner Ein-Mann-Firma sitzt er dann im Radio-Barth-Gebäude am Rotebühlplatz, wo auch Strachi und Schowi ihr 0711-Büro haben, das Flyermagazin Subculture untergebracht ist, DJ Emilio einen Plattenladen führt und die Radio Bar alle mit Kaffee und Drinks versorgt. Ein Meltingpot für Medien- und Subkulturschaffende entsteht, das Ganze nimmt Fahrt auf.

Drei Jahrzehnte später hat Brody mehrere MitarbeiterInnen in seiner ansehnlichen Agentur. „Reich bin ich damit zwar nicht geworden, aber ich gehe jeden Tag gerne schaffen und es macht mir immer noch Spaß“, resümiert der Brody-Bookings-Gründer. Auch, wenn er mittlerweile nirgendwo mehr hinfliegt, um Leute von der Straße wegzucasten – heute läuft alles über Social Media.

Beim Abschied wünscht er uns viel Spaß beim Shooting übermorgen. Unser aktuelles LIFT-Cover-Model Hannah kommt aus seiner Kartei. Wer braucht schon London.

Petra Xayaphoum

 

Dieser Artikel ist aus LIFT 11/22

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