Teurer Techno

Hohe Gagen und steigende Kosten erschweren Stuttgarts Clubs das internationale Booking

Wer aufmerksam die Club-Programme der vergangenen Monate in Stuttgart und anderen deutschen Großstädten studiert hat, kam nicht umhin eines zu bemerken: Die großen internationalen Namen stehen zunehmend seltener drauf. Der Grund: explodierende Gagen und Kosten. „Allem voran die internationalen Acts – sicher nicht alle, aber doch einige – rufen Gagen auf, die für uns als Club nicht mehr bezahlbar sind“, erklärt Sascha Mijailovic vom Kowalski. Kollegen aus der Szene bestätigen: „Seit geraumer Zeit, etwa in den letzten zehn Jahren, hat sich eine Blase entwickelt, von der wir gehofft haben, dass sie zum Platzen kommt“, schildert Patrick Flander von Fridas Pier die Situation, „aber das Gegenteil ist der Fall. Die ohnehin schon teuren DJs haben nochmal eine Schippe draufgelegt. Nicht alle – aber viele.“

Der Booker hat früher selbst auf der anderen Seite der Macht, einer Agentur, gearbeitet. Argumentiert wird von Seiten der Agencies mit höheren Reichweiten auf den Sozialen Medien. Wenn die Followerschaft durch gutes Marketing im Vergleich zu vor der Pandemie um 300 Prozent gestiegen ist, steigt auch der Marktwert des Artists dementsprechend. Und das geht in Zeiten von TikTok, Instagram, et cetera rasend. „Dem aktuellen Techno-Hype geschuldet können auch junge, freshe KünstlerInnen der Szene schon höhere Gagen fordern“, erklärt Raphael Dincsoy vom Lehmann Club. Die Techno-Branche boomt. Wer sich gut vermarkten kann, kommt schnell nach oben.

Flander ergänzt mit einem Einblick in die Arbeit von Agenturen: „Wenn DJs einen Agenturwechsel machen, wird versucht, den oder die DJ auf ein neues Level zu bringen. Das ist, meinem Eindruck nach, seit der Pandemie oft passiert.“

 

Gutes Marketing ist Key

Um sich ein Bild machen zu können, wie’s hinter der Bühne abgeht, kann man auch Florian Buntfuss, Vorstandsmitglied des Club Kollektivs Stuttgart und Betriebsleiter des Climax lauschen, wenn er von der (letzten Endes gescheiterten) Planung der zweiten Ausgabe des Festivals auf dem Eiermann-Areal berichtet: „Sobald’s aufs internationale Parkett mit den wirklich großen Agenturen geht, befindest du dich wie auf einer Auktion: Man gibt sein bindendes Angebot für einen oder eine KünstlerIn für den gewünschten Termin ab und Agentur und KünstlerIn entscheiden dann, für welches der vielen Angebote aus aller Welt sie sich entscheiden.“ Ist das Angebot zu niedrig, ist man raus.

Je berühmter der oder die KünstlerIn und je größer die Agentur, desto mehr Leute stehen auch dahinter, die Geld an ihm oder ihr verdienen und die Gagen in die Höhe treiben. „Dahinter versteckt sich nicht mehr nur das Handwerk des Auflegens, sondern Marketing, PR, Leute, die an den Releases beteiligt sind…“, erklärt Patrick Flander. „An einem großen internationalen Act sind teils bis zu sechs Menschen beteiligt“, berichtet Patrice Grad, Romy-S-Booker und Veranstalter, weiter. „Dann kommt noch der Manager zum Gig mit, man zahlt zwei Hotel-Zimmer, zwei Flüge, zwei Essen…“ Alles vom Feinsten, und das bei den gestiegenen Preisen rund ums Booking: „Wenn man sieht, wie viele Flüge gestrichen und immer teurer werden und wieviel Personal fehlt, kann man sich ausrechnen, welche Zusatzkosten auf einen Club zukommen“, führt Flander aus.

Steigende Kosten rund um den Act selbst

Obendrauf ist die Konkurrenz größer geworden: Die USA und Südamerika haben sich zu Techno-Hotspots entwickelt und drücken mit zahlreichen Festivals und Groß-Events in die Branche. Insgesamt hat die Anzahl an Festivals nach der Pandemie zugenommen: Fürs durch die Pandemie ausgehungerte Party-Publikum wird richtig Gas gegeben. Big Player im DJ-Game können Gagen im sechsstelligen Bereich für zwei bis drei Stunden Spielzeit aufrufen. Das mag bei 40.000 Festival-Gästen oder in Clubs mit 1.000er-Kapazitäten für die Veranstalter finanziell tragbar sein, in die meisten Stuttgarter Clubs passen aber maximal ein paar hundert. Und die zahlen auch keine 30, 40 oder 50 Euro Eintritt wie in anderen europäischen Großstädten. Oder 300 wie in Tulum.

Wo man beim nächsten Punkt wäre: „Wenn man ganz ehrlich ist, haben wir in Deutschland bis Pandemiebeginn sehr günstig sehr gut gefeiert. Selbst in Ländern, denen es wirtschaftlich deutlich schlechter geht, waren die Eintrittspreise schon lange teurer“, erklärt Raphael Dincsoy vom Lehmann Club. Somit steigen auch die Gagen, die man als Artist auf internationaler Ebene verlangen kann. Mit günstigen Eintrittspreisen wie hier sind die irgendwann aber nicht mehr zu stemmen. „Über die Jahre hinweg hat man, und das inkludiert auch uns, versäumt, die Eintrittspreise mit den steigenden Kosten konstant hochzuziehen“, sagt Kowalski-Macher Mijailovic. „Deutschlandweit – auch in Städten wie Berlin.“ Dincsoy bestätigt: „Lange hat man sich nicht getraut zu sagen ‚Eine Clubnacht kostet 20, 25 Euro‘. Man wollte die Gäste nicht verprellen.“ Denn kaum woanders ist die Clublandschaft so groß und ausgebaut, kaum woanders gibt es so viel Auswahl und Alternativen.

Die günstigsten Eintrittspreise gibt’s in Germany

Und was nun? Um eine kollektive Erhöhung der Eintrittspreise ist nach der Pandemie kein deutscher Techno-Club herumgekommen, auch wenn’s den Betreibenden nicht leichtfiel. Teurere Eintrittspreise zu verargumentieren, wenn auch die Gäste zwei harte Jahre hinter sich haben und mit rasant steigenden Lebenshaltungskosten konfrontiert sind, falle einem nicht leicht, sagen die Veranstalter unisono. Florian Buntfuss vom Climax ergänzt: „Es ist ein schwieriger Balanceakt: Wir möchten nach wie vor niedrigschwellig bleiben und auch Leute erreichen, die nicht so viel Geld haben.“ Gleichzeitig hat die Pandemie die Clubs viele Rücklagen gekostet. Durch teure Bookings, die sich am Ende der Nacht womöglich nicht auszahlen, ins finanzielle Risiko zu gehen, fällt niemandem leicht. „Letzten Endes wird für jeden Abend individuell ganz genau gerechnet, welcher Eintritt angesetzt werden kann und für beide Seiten tragbar und sinnvoll ist“, summiert der Booker von Fridas Pier. Aktuell bewegt man sich in Stuttgart je nach Booking zwischen 12 und 25 Euro, damit befindet man sich im bundesdeutschen Vergleich in guter Gesellschaft.

Minutiös rechnen und Locals fördern

Außerdem setzen Stuttgarts Clubs vermehrt auf die Förderung und den Aufbau der lokalen DJs und Kollektive. „Mehr Locals supporten und so langfristig eine Stuttgarter Szene und Identität, die nach außen strahlt, zu entwickeln, ist eine Win-Win-Situation für alle“, betont Flander. „Wir kaufen ja unsere Tomaten auch möglichst lokal und nicht aus Übersee.“ Nachhaltigkeit hört beim Clubben nicht auf. „Am Ende muss man sich als Club überlegen: Will ich dieses Spiel mitmachen oder versuche ich Line-ups zu basteln, die spannend sind, ohne die fünfstelligen Gagen zahlen zu müssen“, bringt‘s Raphael Dincsoy vom Lehmann auf den Punkt. Auch auf langfristige Beziehungen mit Agenturen, die eher gewillt sind, einem preislich entgegenzukommen, wenn man regelmäßig und konstant gut mit ihnen zusammenarbeitet, wird gesetzt.„Wir geben schlussendlich mehr Geld fürs Booking aus als früher – aber ein paar Mal übers Jahr verteilt kann man das machen“, heißt es von Seiten der Stuttgarter Booker und Clubbetreiber. Die großen Nummern aus dem Ausland leistet man sich jetzt eben ein bisschen seltener. Das Gute: Kein Stuttgarter Club bestreitet 100 Prozent seines Programms mit internationalen Bookings, insofern betreffen die exorbitant gestiegenen Gagen nur einen prozentualen Teil. Den kann man übersichtlich halten, sich ausgewählte Größen mal leisten und den Rest des Programms mit nationalen, regionalen oder lokalen Acts bespielen. „Bei den deutschen Acts, die deutschlandweit spielen, sind die Gagen zum Glück nicht so explodiert“, stellt Sascha Mijailovic fest.

 

Generationenwechsel im Club

Die programmatische Umorientierung geht aber ohnehin Hand in Hand mit dem Trend, so die Booker-Meinung durch die Bank weg: „Die Stuttgarter Szene hat sich nach dem Corona-Break gewandelt“, fasst Club-Kollektiv-Vorstandsmitglied Florian Buntfuss vom Climax die Beobachtungen zusammen. „Die Vor-Corona-Zielgruppe geht nicht mehr regelmäßig feiern und deren besagte Größen, die noch auf Festivals funktionieren mögen – die diese Zielgruppe ein paar Mal im Jahr frequentiert und wo sie auch gut und gerne viel Geld liegen lässt – sind gar nicht mehr interessant für die Jungen.“

„Es gibt DJs, die Festivals und Hallen in Italien und Spanien vollmachen, aber hier keine 70 Leute mehr hinterm Ofen hervorlocken“, stellt auch Herz-und-Seele-Macher Patrice Grad fest. Die neue, jüngere Zielgruppe feiert dagegen Newcomer und jüngere Artists. „Die typischen Garanten für ausverkaufte Clubs, die das Gagenlevel immer weiter nach oben getrieben haben, sodass man mit ihnen als Club am Ende des Abends gerade mal so ein bisschen was verdient hat, wurden während der Pandemie von jungen, freshen Artists überholt“, bestätigt Lehmann-Booker Dincsoy. Und so wendet sich am Ende das Blatt.

Petra Xayaphoum

Dieser Artikel ist aus LIFT 02/23

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