Nachhaltigkeit im Nachtleben

Weniger Plastik, mehr Awareness: Stuttgarts Clubs und Spielstätten rüsten auf

Es ist kein Thema, das einem direkt ins Gesicht springt, aber das Thema ökologische Nachhaltigkeit geht auch am Nachtleben nicht vorbei. „Das bekommt man als BesucherIn nur nicht zwingend mit, weil es oft Maßnahmen sind, die im Hintergrund laufen“, erklärt Stuttgarts Nachtmanager Nils Runge. „Zum Beispiel, wenn ein Betrieb auf LED umgestellt hat oder mit energieeffizienten Kühlschränken ausgestattet ist.“ Viele Clubs und Spielstätten denken und rüsten um. „Nachhaltige Lieferketten sind auch ein Thema oder die Anreise: Müssen KünstlerInnen um die halbe Welt fliegen oder kriegt man das auch ökologischer hin?“

Der Teufel sitzt vor allem im Detail: „Kühlhäuser nicht durchgehend betreiben, bei Neuanschaffungen die Energieeffizienz mitdenken, statt mit Wegwerfprodukten mit Pfandsystemen arbeiten und auf die Heizung verzichten, wenn der kleine Raum sich allein durch die Menschenmenge aufheizen kann“, zählt Elmira Gasanova vom Club Kollektiv Stuttgart auf. „Allein aus Kostenspargründen herrscht ein reges Interesse am Thema Nachhaltigkeit, es ist gewinnbringend für alle Seiten.“

 

Gewinnbringend für beide Seiten

Und auch die Größeren machen mit: „Wir beziehen zum Beispiel Ökostrom und stimmen uns mit dem Bandcatering ab, sodass möglichst wenige Reste übrig bleiben“, erzählt Hannah Japes, sie ist Betriebsleiterin im Wizemann. „Alles, was beim Bau nicht mitgedacht wurde, versuchen wir zu kompensieren – an den Heizkosten etwa können wir bei einem Raum von der Größe nicht viel machen.“ Dafür schaut man, dass bei der Neugestaltung der Terrasse nicht alles versiegelt ist und versucht bei jedem neuen Projekt das Thema mitzudenken. „Das ist das Wichtigste“, findet Japes.

Ob nun groß, mittelgroß oder klein, einen gemeinsamen springenden Punkt gibt es: Geld. „Das meiste kommt mit solchen einem finanziellen Invest her, dass man es selten selbst stemmen kann“, erklärt die Wizemann-Betriebsleiterin. Vor allem, wenn man sich gerade noch so von den finanziellen Strapazen der Pandemie erholt. Gasanova bestätigt die Lage durch die Branche weg: „Bei den Clubs ging’s in den letzten Jahren in erster Linie ums Überleben.“

Finanzieller Support ist aber möglich: Zum Beispiel durch den Klima-Innovationsfond der Stadt, der Projekte für eine klimagerechte Stadt fördert. Gerichtet ist der Fond an Unis, Unternehmen, Initiativen und Organisationen. „Das inkludiert auch Clubs und Nachtspielstätten“, sagt Nils Runge, der gemeinsam mit seinem Kollegen Andreas Topp von der Koordinierungsstelle Nachtleben, Clubs und Spielstätten unter anderem bei solchen Anträgen unterstützt. Eingereicht werden können Projekte unterschiedlichster Art, von technisch über ökonomisch bis hin zu völlig neuen Ansätzen. „Wir haben ein Projekt zur Renaturalisierung unseres Areals eingereicht, das hoffentlich genehmigt wird“, erzählt Japes. „Das ist eine Maßnahme, die wir ohne Finanzierung nicht umsetzen könnten.“ Dass es Supportmöglichkeiten wie den Klima-Innovationsfond gibt, findet sie daher sehr gut: „Vor allem für pandemiegebeutelte Branchen wie unsere ist so eine Förderung wichtig, weil sie erst die Bildung einer nachhaltigen Infrastruktur ermöglicht.“

 

Förderung von Stadt und Land ist da

Support, speziell für Kulturstätten, gibt’s auch beim Green Culture Index: Auf die Beine gestellt von der Initiative Musik, der Thema1 GmbH und dem Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit werden bei dem Pilotprojekt zwölf ausgewählte Musikspielstätten in Bawü dabei unterstützt, eine erste Klimabilanz für ihren Betrieb zu erstellen. „Das Ganze wird vermutlich Mitte/Ende 2023 abgeschlossen sein“, berichtet Runge. „Es geht darum, mithilfe von ExpertInnen, an eine solide Datenlage zur Klimaeffizienz von Musikspielstätten zu kommen. Dadurch können Handlungsstrategien abgeleitet werden, an denen sich wiederum andere Clubs und Spielstätten orientieren können.“ Denn eine solche fachkundige Klimaberatung ist nicht kostengünstig und für die meisten Clubs und Nachtspielstätten finanziell nicht drin.

Aber nicht nur die sollen vom Green Culture Index profitieren: Die ausgewerteten Ergebnisse dienen als Basis für einen Runden Tisch mit AkteurInnen aus der Politik und Wirtschaft, mit denen dann zukunftsfähige Konzepte und Strukturen für eine ökologisch nachhaltige Kultur- und Kreativwirtschaft entwickelt werden können.

Denn unter anderem in der Mobilität gibt’s noch Luft nach oben: „Zum Beispiel indem man  Straßenbahnen die Nacht durchfahren lässt, sodass man auch nachts mobil bleibt und kein Aufgebot an Autos in die Innenstadt rollt“, schlägt Elmira Gasanova vom Club Kollektiv Stuttgart vor. ClubgängerInnen aus dem Speckgürtel der Stadt greifen immer noch aufgrund schlechter Verbindungen aufs Auto zurück.

Im Gegensatz zur ökologischen Nachhaltigkeit ist die soziale Nachhaltigkeit im Nachtleben zunehmend sichtbarer geworden: durch Awareness-Teams wie etwa in der Romantica. „Bei sozialer Nachhaltigkeit im Nachtleben geht es darum, dass offene Strukturen und Anlaufstellen für betroffene Personen geschaffen werden, sodass sich alle wohlfühlen und niemand wegen irgendwelcher Merkmale diskriminiert wird“, erklärt Nachtmanager Nils Runge. „Denn es gibt Diskriminierung im Nachtleben“, stellt Nils Runge fest. „Auch wenn es kein Nachtkultur-spezielles Problem ist.“

Ihm liegt das Thema besonders am Herzen, verschiedene Workshops hat er bereits in der Vergangenheit rund um die Themen Awareness und Clubkultur als Safer Space – also ein geschützter Ort, an dem Menschen frei von Diskriminierung sind und agieren können – organisiert und begleitet, weitere sind in Planung. Auch die Nachtsam-Kampagne des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration für mehr Sicherheit im Nachtleben, an der Clubs und Spielstätten kostenfrei teilnehmen und sich schulen lassen können hinterlässt sichtbare Spuren in der Stadt: „Viele Clubs wie das White Noise zum Beispiel tragen einen Aufkleber am Eingang, der signalisiert: ‚Wir sind eine nachtsame Einrichtung.‘ Das bedeutet, dass sie bereits ein Schulungsprogramm absolviert haben und sich dort Gäste sicher fühlen können“, berichtet Nils Runge.

Sein langfristiges Ziel: „Mein persönlicher Wunsch ist, dass sich daraus Awareness-Strukturen in Stuttgart entwickeln und dass man sich in Sachen soziale Nachhaltigkeit offener positioniert.“ Dabei gibt er zu bedenken, dass für ein sozial nachhaltiges Nachtleben nicht nur Strukturen fürs Publikum, sondern auch für KünstlerInnen geändert werden müssen: „Stichwort: Förderung diverser KünstlerInnen. Denn durch die diverse Besetzung im Line-up kann man eine Vorbildfunktion schaffen.“

Ob soziale oder ökologische Nachhaltigkeit – beide werden in Zukunft immer mehr an Bedeutung gewinnen, was auch betriebswirtschaftlichen Impact auf Clubs und Spielstätten haben wird: „Vor zehn Jahren hat man sich als BesucherIn keine großen Gedanken ums Thema Nachhaltigkeit beim Ausgehen gemacht, das hat sich mittlerweile geändert“, stellt Elmira Gasanova vom Club Kollektiv Stuttgart fest und gibt in Aussicht: „Noch bedeutungsvoller wird es, wenn die Fridays-for-Future-Generation Zielgruppe wird. Es wird noch wichtiger werden, dass man in Line mit ihren Vorstellungen vom Nachtleben fährt und das auch nach außen kommuniziert.“

Petra Xayaphoum

Dieser Artikel ist aus LIFT 10/22

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