Kreativität kennt keine Krise

Was die Stuttgarter Kunstszene aus der Corona-Pandemie macht

Museen und Galerien geschlossen, Vernissagen und Eröffnungen aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt. Seit Mitte März und noch bis vor Kurzem lag die Stuttgarter Kunstlandschaft brach, so könnte man meinen. Aber von wegen! Auch in der Krise ist Stuttgarts Kunstszene kreativ – und nutzt diese eben als künstlerischen Nährboden.

Wer in den letzten Wochen in Stuttgart unterwegs war, hat sie mit Sicherheit gesehen – die zahlreichen Poster, die die Litfaßsäulen in allen Bezirken der Stadt schmücken. Wer dahinter steckt? Die Bewegung für Radikale Empathie (BRE). Von sich reden gemacht hat die 1970 gegründete Stuttgarter Bewegung zuletzt 2017 mit der Ausstellung „Banalität des Guten“ im Nord des Schauspiel Stuttgart. Heute, drei Jahre später, beleben die GründerInnen Dominique Brewing, Anja Haas, Melanie Müller und Markus Niessner ihr Projekt wieder – mit einem neuen Leitspruch. So wurde der ehemalige Slogan „Jetzt oder nie – radikale Emapthie!“ ganz einfach zu „Jetzt oder nie – Public Poster Galerie!“, mit dem die Macher der BRE hiesige KünstlerInnen und DesignerInnen dazu aufgerufen haben, künstlerische Entwürfe, die eine Antwort auf Corona sein sollen, einzusenden. Das Feedback war gewaltig: Innerhalb weniger Tage gingen 36 Entwürfe von insgesamt 30 Stuttgarter KünstlerInnen ein.

Aber was soll die Aktion bewirken? Dominique Brewing sieht darin vor allem den künstlerisch-psychologischen Aspekt: Die Plakate sollen den Menschen Mut machen, Solidarität stiften und die europäische Idee trotz der Krise hochhalten. „Was wir können, ist den öffentlichen Raum fröhlicher, ein bisschen besser und bunter zu gestalten. Das ist vielleicht nur ein kleiner Beitrag, aber wir wünschen uns, dass der eine oder andere entspannter durch die Krise kommt.“ Die Poster kann man nun auch online erwerben.

Empathisch geht es auch im ITO-Projektraum zu. Die Stuttgarter Künstlerin Florina Leinß nutzt die Umstände der Pandemie, um den aktuellen Stillstand unserer technisierten Lebenswelt in einen sinnlich wahrnehmbaren Zustand zu übersetzen – in Form von Farben und Plastiken. Losgelöst von ihrem ursprünglichen Zweck, werden die rationalen Größen der technisierten Welt für die BesucherInnen der Schau erfahrbar und regen zur Reflexion über die eigene Lebenssituation an.

Das Thema unserer aller Lebenssituation, die sich zuletzt meist zuhause abgespielt hat, greifen auch Studierende der Akademie der Bildenden Künste in ihrer virtuellen Ausstellung „Infectious Space“ auf. In dem virtuellen, sich stets verändernden Schauraum präsentieren die Nachwuchskünstler ihre Werke aus Zeiten physischer Isolation zuhause, wo die Ideen entstanden sind. Zu entdecken gibt’s die Schauräume auf einem eigens dafür eingerichteten Instagram-Kanal.

Wie der Alltag sich durch Corona verändert hat und wie die Menschen den Lockdown überbrückt haben, damit beschäftigen sich das Landesmuseum und das Museum der Alltagskultur in Waldenbuch. Anfang April hatte das Landesmuseum das interaktive Online-Projekt „Corona-Alltag: Dein Projekt für übermorgen“ ins Leben gerufen und BürgerInnen dazu aufgerufen, Gegenstände einzureichen, die sie mit dem Lockdown verbinden. Aus den Einsendungen wurde jeweils das „Objekt des Tages“ ausgewählt. Das ursprünglich digitale Projekt wird nun analog unter dem Titel „Dein Objekt für übermorgen“ im Museum der Alltagskultur fortgesetzt – im „Amt für Corona-Angelegenheiten“ können Interessierte ihre eigene Geschichte erzählen, ein passendes Objekt mitbringen und damit die bestehende Ausstellung erweitern. Alle Einsendungen sind online abrufbar.

Es zeigt sich: Die Stuttgarter Kunstszene bleibt stark und Kreativität ist grenzenlos.

 

Bewegung für Radikale Empathie [www.bewegung-fuer-radikale-empathie.de]

Still – aus dem Schwebeflug  [10.7.-11.9., ITO-Projektraum, König-Karl-Str. 27a, S-Bad Cannstatt, Fr 14-18 Uhr, www.ito-raum.de]

Infectious Space [Instagram: @infectious.space]

Dein Objekt für übermorgen [Museum der Alltagskultur, Schloss Waldenbuch, Kirchgasse 3, Waldenbuch, Fr 14-18 Uhr, www.museum-der-alltagskultur.de]

Dieser Artikel ist aus LIFT 07/20

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