Kinotour „The Case you“

Sexuelle Übergriffe beim Filmcasting
Das Set ist simpel: Fünf Protagonistinnen auf einer Theaterbühne, die eine Geschichte teilen. Sie waren vor mehreren Jahren bei einem Filmcasting, bei dem Grenzen überschritten wurden. Mehrere hundert Schauspielerinnen wurden von Männern und Frauen angeschrien, in intimen Bereichen berührt und mussten sich teilweise vollständig entkleiden. Erst später wird vielen klar, was da beim Casting gelaufen ist.
Unter den Schauspielerinnen war auch Alison Kuhn, die heute Regisseurin ist. Bei der Aufnahmeprüfung zum Regiestudium entschied sie sich, einen Dokumentarfilm über den Fall zu drehen, um betroffenen Frauen eine Stimme zu geben. Herausgekommen ist ein Manifest über Machtmissbrauch und die Ohnmacht der Opfer.
„Ich wollte daraus etwas Konstruktives machen“, sagt Kuhn. Für den Dreh macht sie fünf Frauen ausfindig, die damals dabei waren und noch heute davon betroffen sind. Über ein Jahr tauschten sich die Frauen online aus. Persönlich sehen sie sich beim Drehbeginn zum ersten Mal.
Obwohl sie selbst betroffen war, hat sich Kuhn bewusst dazu entschieden ihre eigene Geschichte nicht zu erzählen. „Mir war klar, dass ich als Regisseurin einen stabilen Rahmen bieten muss“, sagt sie. Eine emotionale Beteiligung an der Geschichte hätte den Protagonistinnen nicht die nötige Sicherheit gegeben, um sich öffnen zu können.
Dabei soll auch der Drehort helfen: Kuhn hat die Theaterbühne einer Universität gewählt. Es sollte ein neutraler Boden sein, der gleichzeitig eine Verbindung zum Ort des Geschehens, dem Castingraum, herstellt.
Auf der Bühne lassen die Protagonistinnen das Geschehene Revue passieren. Sie stellen Szenen des Falls nach, tauschen ihre Erfahrungen aus und erzählen, wie es ihnen seither damit geht. Mehr als einmal fließen dabei Tränen und selbst als ZuschauerIn spürt man die beklemmende Stimmung, die damals beim Casting geherrscht haben muss.
Alison Kuhn betont, wie wichtig es für sie war, den Betroffenen die Sicherheit zu geben, dass sie zu nichts verpflichtet sind. Sie mussten nichts erzählen, was sie nicht wollten und die Dreharbeiten konnten jederzeit abgebrochen werden. Ein krasser Kontrast also zu den Geschehnissen beim Casting.
„The Case You ist als Fallbeispiel gedacht. Es geht mehr um strukturelle Machtverhältnisse, als um Einzelschicksale“, sagt Kuhn. Der Film soll Tabus brechen und gerade in Zeiten der „Me too“-Debatte zur Diskussion anregen.
Auf der Kinotour im März macht „The Case You“ auch in Stuttgart und Tübingen Halt. Im Beisein von Protagonistinnen und der Regisseurin sind dann Beiträge der Zuschauenden erwünscht.
Eigene Erfahrungen aus anderenBranchen dürfen im sicheren Umfeld geteilt werden. „Wir wollen zeigen, wie wichtig der offene Umgang mit diesen Themen ist und dass man sich keinesfalls schämen muss“, sagt Kuhn.
Der Fall und die Arbeit am Film haben die Regisseurin nachhaltig beeinflusst: „Es hat mich motiviert Dinge anders zu machen und meine Position als Schauspielerin oder Regisseurin zu hinterfragen“, erklärt sie.
Nach dem Dreh sei den Protagonistinnen eine Last von den Schultern gefallen, erzählt die Regisseurin. Es fühlte sich an, als sei die Geschichte auf der Bühne geblieben.
The Case You – Kinotour [DE 2019, R: Alison Kuhn; 13.3. 14 Uhr, Atelier am Bollwerk, Hohe Str. 26, S-Mitte; 13.3. 18 Uhr, Arsenal, Hintere Grabenstr. 20, Tübingen]
