Fliegt ihr noch oder schämt ihr euch schon?

So denken Stuttgarter über das Fliegen in der Klimakrise

Ein Jahr ist es her, seit die Schwedin Greta Thunberg als Erste für das Klima streikte. Längst lässt sich der Einfluss der Fridays for Future-Bewegung auf Politik und Gesellschaft nicht mehr kleinreden. So gab bei einer aktuellen Umfrage jeder dritte Befragte zwischen 18 und 30 Jahren an, für das Klima auf Flugreisen verzichten zu wollen. Wie gehen Stuttgarter mit der Frage um?

Fabian Liening, Schüler am Wilhelms-Gymnasium in Stuttgart Degerloch

 

„An unserer Schule hat die Schülervertretung einen Antrag an die Schulleitung gestellt, dass es in Zukunft keinen Schüleraustausch oder Studienreisen mehr mit dem Flugzeug geben soll. Alle Klassenvetreter haben dafür gestimmt, auch die jüngeren. Schließlich haben Schulen eine Vorbildfunktion. Zu unserer Überraschung wurde unser Antrag, den wir mit wissenschaftlichen Fakten begründet haben, bislang nicht abgelehnt, auch wenn manche Lehrer darauf beharren, dass die Reisen wichtig für den kulturellen Austausch seien.

Ich selbst war vor einigen Jahren beim Schüleraustausch in Indien – das war eine tolle persönliche Erfahrung, heute würde ich das aber nicht mehr machen, zumal ich dort eh in einer kulturellen Blase, nämlich der oberen Mittelschicht, lebte. Im Sommer flog ich zu meinem Bruder nach Oslo, weil ich den Flug nicht mehr stornieren konnte. Das ist natürlich keine Entschuldigung, auch wenn es die Ausnahme bleiben soll.

Man darf nicht erwarten, dass alle immer alles perfekt machen – es wäre aber fatal, gar nicht erst zu versuchen, die Dinge besser zu machen, etwa indem man auf Fleisch verzichtet, mehr Rad fährt oder eben nach Möglichkeit nicht mehr fliegt.

Wichtig ist, dabei nicht moralistisch zu sein – da tritt mir Fridays for Future in Stuttgart manchmal zu offensiv auf. Man kann andere nicht zum Verzicht überreden, sondern muss sie davon überzeugen.

Es müssen darum aus der Politik konkrete Anreize wie eine CO2-Steuer und ein günstigerer ÖPNV geschaffen werden. Verzicht ist nur dann langfristig möglich, wenn er ein lohnendes Gefühl hervorruft.“

Michael Bloss, Stuttgarter Europaabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen

 

„Ich fliege so wenig wie möglich– vor kurzem fuhr ich mit dem Zug sogar zwei Tage lang zu einer Konferenz nach Istanbul. Das geht natürlich nur, wenn man sich die Zeit dafür nehmen kann, immer lässt sich das Fliegen nicht vermeiden.

Seit ich ins Europaparlament gewählt wurde, wohne ich sowohl in Stuttgart als auch in Brüssel in einer WG und pendele frühmorgens oft mit der Bahn. Die Fahrt dauert viereinhalb Stunden, ich kann morgens um fünf einsteigen und bin pünktlich um halb zehn im Büro – zumindest, wenn alles klappt. Im Sommer gab es leider oft große Verspätungen. Die Infrastruktur muss daher dringend besser werden. In China oder Japan fahren die Züge so schnell, dass man auch auf der Mittelstrecke aufs Fliegen verzichten kann.

Dass Kerosin weitestgehend von der Steuer befreit ist, ist eine Subvention der Klimakrise. Auch der Kauf von CO2-Zertifikaten ist kein echter Klimaschutz. Eine Tonne CO2 fügt der Gesellschaft 180 Euro Schaden zu, kostet aktuell aber nur 29 Euro. Darum ist eine CO2-Steuer sinnvoll – und kann für einen echten Innovationsschub sorgen. Das dürfen wir nicht genauso verschlafen wie die industrielle Revolution des Internets.

Aber Mitschüler zu hänseln, weil sie fliegen, halte ich für falsch – es muss darum gehen, die Rahmenbedingungen zu ändern und nicht die Individuen. Schamgefühl führt nicht zu einer Verhaltensänderung, eher braucht es Verständnis. Das ist emanzipatorischer als mit dem Finger auf andere zu zeigen.“

Elias Zand-Akbari, Fridays for Future-Aktivist und angehender Schauspielstudent

 

„Zwar ist es wichtig, das Fliegen gerade im Inland zu vermeiden, aber wir brauchen keine Verbotskultur, sondern ein anderes Bewusstsein. Für mich ist es nicht gleich schlimm, wenn man alle paar Jahre mal mit der Familie in den Urlaub fliegt oder zu einem besonderen Ziel. Aber muss man mit dem Flieger nach Hamburg oder jedes Jahr nach Indien?

Früher bin ich auch ab und zu geflogen, vor allem, weil ein Teil meiner Familie im Iran lebt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das so wieder machen würde.

Im Sommer besuche ich meine Schwester in London und reise mit dem Zug an – während meine Mutter das Flugzeug nimmt. Darüber gab es anfangs auch Streit.

Dass manche lieber fliegen, kann ich aber nachvollziehen, mit der Bahn ist es oft teurer. Darum ist es wichtig, dass von der Politik Alternativen gefördert werden.

Flugreisen durch den Kauf von CO2-Zertifikaten auszugleichen, halte ich für schwierig und eine Form von Greenwashing. Es basiert auf der Annahme, dass der Markt das Problem von selbst regelt, daran glaube ich nicht. Die Gefahr ist groß, dass dadurch alles weitergeht wie bisher.“

Julian Knoth, Musiker bei Die Nerven und Peter Muffin

 

„Während ich weiter in Stuttgart lebe, wohnen ein Großteil der Band, unser Manager und unser Mischer in Berlin. Ich muss also meistens separat anreisen, auch zu Festivals. Obwohl es günstiger wäre, zu fliegen, nehme ich immer die Bahn – nach Berlin braucht man ohne Check-In und die Fahrten nach Leinfelden-Echterdingen und ab Tegel kaum länger.

Als wir an der Berliner Schaubühne die Musik zum Theaterstück „Die Erfindung der RAF“ beisteuerten, wurde uns vom Theater angeboten, jedes Mal mit dem Flugzeug anzureisen. Das haben wir anfangs noch getan – dann aber habe ich mich bewusst dagegen entschieden und reise seither mit der Bahn.

Auf Tour sind wir mit unserem Van unterwegs, auf den wir als Rockband aufgrund des Equipments angewiesen sind. Natürlich sind wir manchmal mit der Frage konfrontiert, ob wir fliegen sollen. So durften Die Nerven bereits in Israel, Island oder den USA auftreten – da-rauf zu verzichten, ginge mir aber zu weit, schließlich sind das seltene Ausnahmen.“

Annette Wagner, Leiterin des Corporate Office Lab für Nachhaltigkeit und Ideen bei Bosch

 

„Eins steht fest: Wir haben keine Zeit zu verlieren. Und wir tragen Verantwortung. Für unseren Planeten und für unsere Kinder. Das heißt, wir müssen handeln – und zwar im Privaten und als Unternehmen.

Wir sollten unser eigenes Verhalten kritisch hinterfragen und unsere Entscheidungen bewusst treffen. Warum muss es die Flugmango sein, wenn der Hofladen in der Nähe eine tolle Vielfalt bietet? Besonders schwierig in unserem modernen vernetzten Leben sind dabei Flugreisen. Für den Urlaub in der Sonne heißt das für mich persönlich: Südfrankreich statt Karibik. Aber auch im beruflichen Umfeld sind persönliche Treffen trotz aller moderner Kommunikationstechnologien wichtig.

Ich bin stolz, dass wir bei Bosch entschieden haben, ab Januar alle Flugreisen aller Bosch-Mitarbeiter CO2-neutral zu stellen.

Das CO2, das durch den Flug ausgestoßen wird, wird an anderer Stelle kompensiert, zum Beispiel durch Aufforstungsprojekte, so dass die Atmosphäre netto nicht belastet wird.   Flugreisen werden damit für uns bei Bosch im Vergleich zu CO2-freundlicheren Reisealternativen teurer.“

Dieser Artikel ist aus LIFT 09/19

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