Kein Neustart in Sicht: Wie lang macht’s die Stuttgarter Clubszene noch?
Die goldene Arschkarte

Nachdem die Unruhen am Eckensee erst mal der „Partyszene“ zugeschrieben worden waren, korrigierten sich Polizei und Politik umgehend: Die Wortwahl sei unglücklich gewesen, die Partyszene habe damit nichts am Hut gehabt. Indes liegt der interfraktionäre Antrag des Gemeinderats für eine weitere Förderung über eine halbe Million Euro speziell für die Clubszene vor. Sonnige Zeiten, what a Time to be a Clubbesitzer? Na ja, geht so.
„Die Geschehnisse am Eckensee können langfristige Folgen für die Nachtszene haben, wenn die Leute selbst nach Corona Bedenken haben werden, abends in die Stadt zu kommen.“ So heißt es von Seiten des Club Kollektivs beim ersten Pressetermin der neugegründeten Allianz für ein lebendiges und sicheres Stuttgart. In der sind neben der Interessenvertretung der hiesigen Clubs auch die Hotels und Gaststätten und verschiedene Veranstalter und Kulturinstitutionen vertreten.
Man möchte gemeinsam Konzepte entwickeln, um das Bild des randalierenden Stuttgarts wieder gerade zu rücken, denn nur eine offene und sichere Stadt, in der man sich wohlfühlt und die kulturell was zu bieten hat, wird auch besucht. Von Sperrstunden und Verboten hält man nicht viel: „Nachhaltig gesehen ist das nicht der richtige Weg.“
Doch die Diskussion darüber, ob Leute zum Feiern in die Stadt kommen, bleibt hypothetisch: Der Regelbetrieb bleibt bis auf Weiteres untersagt. Zwar dürfen Clubs als reine Schank- und Speisewirtschaften wieder aufmachen, jedem Gast muss aber ein Sitzplatz zugewiesen werden, wo er auf seinen vier Buchstaben sitzend die Getränke und Speisen bei leiser Hintergrundmusik zu konsumieren hat. Tanzen? Verboten.
Butter bei die Fische: Der Stuttgarter Club, der sich dank voll ausgestatteter Küche und hauseigenem Koch ohne Weiteres in ein Restaurant verwandeln kann, muss noch erfunden werden – es sei denn, Wodka-Mate geht als vollwertige Mahlzeit durch. Die meisten Clubs bleiben also weiterhin geschlossen.
Einige wenige wie das Kowalski und White/Noise, die das Glück haben, einen Außen- oder aber einen großzügigen Innenbereich wie der King’s Club im Exil zu besitzen, haben ihre Tore als Bar wieder geöffnet. Für alle anderen sieht es schlecht aus.
Das Wort, das dennoch am häufigsten fällt, wenn man sich bei Stuttgarts Clubbetreibern nach ihrer Lage erkundigt, ist Verständnis. „Wir alle hätten kein gutes Gewissen dabei, in der aktuellen Lage unsere Clubs zum Feiern und Tanzen wiederzueröffnen. Wir tragen ja auch eine Verantwortung für die Gesellschaft und unsere Mitarbeiter“, erklärt Felix Klenk (u. re.) vom Club Freund und Kupferstecher.
Mit Blick aufs europäische Ausland, in dem die Clubs zum Teil wieder öffnen durften, nur, um kurze Zeit später wieder zu schließen, möchte man es in Stuttgart lieber mit Bedacht angehen. „Selbst, wenn wir eine Öffnung wirtschaftlich dringend nötig hätten“, fügt Klenk hinzu und spricht damit den anderen Clubbetreibern aus der Seele.
Denn auch, wenn das zweithäufigst gefallene Wort Dankbarkeit ist – für die Förderungen, die Stadt und Land zur Verfügung stellen – so sind sich doch alle einig: „Das ist wie ein Tropfen auf den heißen Stein.“
Die erste Förderung hat bei allen befragten Clubs bestenfalls anderthalb Monatsmieten ausgeglichen, für wie viele Mieten die angekündigten weiteren Förderungen reichen werden ist fraglich. Alle anderen Fixkosten bleiben gänzlich unabgedeckt. „Wir machen jeden Monat Miese“, stellt Femke Bürkle (o. li.) vom Club Romantica klar. Sie ist wie Klenk vom Freund und Kupferstecher in der unglücklichen Situation, einen kleinen Club im Untergeschoss zu betreiben: „Wir hätten vielleicht für vier, fünf Tische Platz“, sagen beide. „Davon abgesehen geht niemand im Sommer in den Keller, um einen zu trinken.“
Aber nicht nur logistisch und moralisch ist die Wiedereröffnung ein Problem: „Ich tu’ mich auch schwer damit, nach außen hin zu suggerieren, dass ich wieder aufmachen und gut Geld einnehmen kann“, erklärt Klenk. Die Verhandlungsposition den Vermietern gegenüber sei ohnehin schon schwer genug, wenn die von vermeintlich hohen Fördersummen für die Clubkultur hören. Mietminderung hat keiner der befragten Clubs bekommen. „Uns wird nichts geschenkt“, stellt Laura Halding-Hoppenheit (Mi.) vom King’s Club klar.
Gleichzeitig verschlechtert sich zusehends die Chance, einen Kredit von der Bank zu bekommen: Wer kann schon eine Rückzahlung garantieren, wenn nicht mal klar ist, wann und ob überhaupt wieder ein normaler Regelbetrieb möglich ist? „Wenn das so weitergeht, bleiben am Ende nur die Clubs übrig, die das nötige Kleingeld in der Tasche haben“, prophezeit Sebastian Simon (o. re.) vom Lehmann Club.
Währenddessen lässt sich die Meute das Feiern nicht verbieten: Auf die Frage, ob ihnen Leute bekannt sind, die illegale Partys veranstalten und besuchen, heißt es von allen Clubbetreibern unisono: „Ja klar.“ Die sozialen Medien sind wochenends voll von Videos von aufeinander klebenden, tanzenden Leuten. Umso wichtiger sei es, ein Konzept zu entwickeln, das die überschüssigen Energien in geregelte und nachvollziehbare Bahnen lenkt.
Gemeinsam mit Sascha Mijailovic (o. re.) vom Kowalski und Johannes Graf Strachwitz (u. li.) von der Agentur 0711, die unter anderem das Im Wizemann betreibt, hat er ein Konzept entwickelt. Mit einer Vorab-Online-Registrierung und -Ticketierung soll die Kontrolle über die Verbreitung des Virus innerhalb der Partygesellschaft gewährleistet werden: In drei Phasen, die man je nach aktueller Infektionsrate einleiten und auch wieder zurückfahren könnte, würde der Weg für die allmähliche Wiederaufnahme des Normalbetriebs zu einem Zeitpunkt X geebenet. Wenn es eben einen Impfstoff oder ein wirksames Medikament gibt.
„In der ersten Phase kann man sich zum Beispiel nur ein personalisiertes Ticket pro Club und Wochenende holen“, erklären die drei. Auch jedes zweite Wochenende wäre zur Vorsicht in der Anfangsphase denkbar. Über eine gemeinsame Schnittstelle, in der alle Online-Shops der Clubs zusammenlaufen, wäre gewährleistet, dass Gäste auch nur dieses eine Ticket kaufen können.
Durch die Abgabe ihrer Kontaktdaten könnten die Partygäste dann im Falle einer Infektion allesamt kontaktiert und für die kommenden zwei Wochen für einen weiteren Clubbesuch gesperrt werden.
Dabei spielt die Verifikation durch die Ticketanbieter und die Türsteher vor Ort eine nicht unerhebliche Rolle: Nicht selten landet zurzeit auf dem Datenfeststellblatt der Gastronomen ein Dauergast namens Max Mustermann.
„Außerdem würde man festes Personal für je Freitag und Samstag einteilen, sodass eine Durchmischung der Teams verhindert wird“, führt Simon weiter aus. Wenn das Konzept gut funktioniert, könnten in der zweiten Phase dann die Restriktionen gelockert und Tickets für Freitag und Samstag erworben werden. Die dritte Phase wäre dann die Rückkehr zum Normalbetrieb.
Ob und wann die Idee umgesetzt werden kann, ist noch unklar: Den Hut bei Lockerungen und Regelungen haben die Politik und das Gesundheitsamt auf. „Den möchten wir ihnen auch nicht abnehmen, wir sind ja keine Gesundheitsexperten“, stellt Simon klar. „Nur mit den Händen in den Taschen dastehen und warten, möchten wir aber auch nicht“, erklärt Strachwitz.
Denn die Lage spitzt sich zu: „Viele berichten, dass sie nicht mehr lange über die Runden kommen und ihnen die Perspektive fehlt“, so Colyn Heinze vom Club Kollektiv. „Wenn’s so weitergeht, werden wir es nicht ins nächste Jahr schaffen, ohne Clubs zu verlieren, fürchte ich.“