Interventionen im Live-Fernsehen, mit bewaffnetem Militär in einem Therapieraum, eine Bondage-Performance in Kyoto – Christian Jankowskis Aktions- und Konzeptkunst führt mitten in die Gesellschaft. Ab Juli zeigt der Berliner Künstler in der Kunsthalle Tübingen einen umfassenden Überblick über sein Gesamtwerk. Von Kunst als Feldforschung und Ventil.
LIFT Im Rahmen Ihrer Arbeit „Sender and Receiver“ haben Sie im Heute Journal des ZDF live VertreterInnen systemrelevanter Berufe in Schutzmontur auftreten lassen. Damals hieß es, Ihre Kunst polarisiere die Gesellschaft. Ist das so?
Jankowski Das müssen Sie die Gesellschaft fragen. Ich glaube eher, dass die Kunst so auf Einzelne wirken kann. Sie kann Bilder in den öffentlichen Raum stellen, die verhandelt werden können. Gute Kunst ist aber keine Propaganda und auch keine Werbung. Kunst soll ein Anlass sein, zu kommunizieren, sich mitzuteilen, einander zuzuhören und die Welt danach vielleicht anders zu sehen.
LIFT Wie sind Sie auf die Idee zu der Arbeit gekommen?
Jankowski Zu Beginn der Pandemie waren die Menschen in systemrelevanten Berufen in den Medien sehr präsent, es wurde von ihnen als „Engel“ gesprochen – selbst traten sie aber nie dort auf. Da kam mir die Idee, sie in die Medien eindringen und sie dort selbst zu Wort kommen zu lassen.
LIFT Und was zeigt die Arbeit?
Jankowski Ich habe mich gefragt, wie weit die Medien offen für Kunst sind. Denn die Bilder in Massenmedien sind umkämpft und daher auch sehr bedeutungsvoll, weil sie eine solche Wirkungsmacht haben.
LIFT Was wollen Sie mit Aktionen wie diesen zeigen?
Jankowski Ich arbeite mit Alltagssituationen, die ich in meinen Arbeiten in Kunst umwandele und ihnen so Bedeutung gebe. Es sind eher Fragestellungen als Antworten. Ich will aktuelle Themen ansprechen, denn Kunst ist ja auch immer verstrickt mit der Zeit, in der sie geschieht.
LIFT Ist der Ukraine-Krieg Thema?
Jankowski In der Schau zeige ich die Videoarbeit „Defense Mechanism“, die zwar noch vor dem Ukraine-Krieg entstanden ist, sich aber mit dem Thema Krieg und Verteidigungsmechanismen beschäftigt. Dabei stürmen rumänische Militärs einen Therapieraum und treffen auf einen Therapeuten.
LIFT Was trägt die Kunst zu gesellschaftlichen Konflikten bei?
Jankowski Kunst bringt Menschen dazu, sich Themen aus einer anderen Perspektive zu nähern und sich ein individuelles Bild davon zu machen. Außerdem funktioniert sie in vielen Fällen als eine Art Ventil.
LIFT Ihre Kunst wird oft als Feldforschung bezeichnet. Warum?
Jankowski In meinen Arbeiten betrete ich Bereiche, die neu für mich sind. Ich bin ja kein Nachrichtensprecher und auch kein Therapeut. Trotzdem begegne ich diesen Feldern mit großem Interesse und mit dem Wunsch, sie in meine Kunst einzubringen.
LIFT Sie arbeiten nicht nur als Aktions-, sondern auch als Bildender Künstler. Wie vereinbaren Sie das?
Jankowski Die Kunst besteht für mich aus fließenden Übergängen, denn es gibt Werke mit verschiedenen Zustandsformen. Oft wird eine Performance fotografiert, schreibt sich also in ein anderes Medium ein. Alle meine Arbeiten sind Konzeptkunst – sie öffnen sich verschiedenen Medien.
LIFT Wie entscheiden Sie, welche Kunstform die Passende ist?
Jankowski Manche Situationen sind passend, um sie als Gemälde festzuhalten, manchmal als Fotografie, manchmal braucht es aber auch etwas Zeitbasiertes wie den Film, um Prozesse zu verdeutlichen. Ich überlege mir gut, wie ich eine Performance festhalte, sodass ich sie nicht ständig wiederholen muss.
LIFT Wie meinen Sie das?
Jankowski Der Künstler Martin Kippenberger hat mal gesagt, „Ich kann mir nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden“, wie das Van Gogh getan hat. Ich versuche in meinen Arbeiten einmal alle AkteurInnen zusammen zu bringen und die Handlung zu einem unwiederholbaren Moment zu machen. Ich möchte mit der Kunst immer wieder in neue Felder eindringen, anstatt Bekanntes zu wiederholen.
LIFT Wie kommen all ihre Arbeiten in der Tübinger Schau zusammen?
Jankowski In der Kunstwelt passiert es ja oft, dass man von Institutionen eingeladen wird und dabei viel umherreist. Die Reise haben wir in der Schau als Metapher genutzt, um verschiedene Werkkomplexe zusammen zu führen.
LIFT Inwiefern beziehen Sie die Stadt Tübingen mit ein?
Jankowski Ich zeige beispielsweise die neue Arbeit „I was told to go with the Flow“, auf der ich meine Werke in Transportkisten auf einem Stocherkahn transportiere, der eigentlich für TouristInnen bestimmt ist. Der Stocherkahn wird dann auch als Teil einer Installation in der Kunsthalle zu sehen sein.
Christian Jankowski. I was told to go with the Flow
[2.7.-30.10, Kunsthalle Tübingen, Philosophenweg 76, Tübingen, Mo-Mi+Fr-So 11-18, Do 11-19 Uhr, www.kunsthalle-tuebingen.de, Vernissage: 1.7. 19 Uhr]