Mit dem Sprinter aus dem Kriegsgebiet

Text: Frank Rudkoffsky, Foto: Ronny Schönebaum

Mit Büchern geflüchteten Kindern Gutes tun

Eng war es schon immer im Büro von Verlagsvertreter Tilmann Eberhardt im Stuttgarter Westen, das gelegentlich auch als Ladengeschäft dient. Zuletzt stapelten sich die Bücher aber nicht nur in Regalen, sondern auch kistenweise im Gang. Irgendwann mietete er ein Auto und nun einen Keller – als Lager für Bücher, die dank ihm aus der Ukraine nach Stuttgart kommen.

Seit Kriegsausbruch im Februar importiert Eberhardt in Eigenregie Bücher des ukrainischen Kinderbuchverlags Chorni Vivtsi (Schwarze Schafe) aus Czernowitz, den er vor Jahren auf einer Messe in Lwiw kennenlernte. Zunächst wollte er bloß den Verlag  unterstützen und Kindern geflüchteter Familien Gutes tun. „Die Sache wurde dann allerdings schnell so groß, dass ich erst mal komplett die Kontrolle verlor“, sagt der Stuttgarter und spricht von der steilsten Lernkurve seines Erwachsenenlebens.

Die Bücher bestellten anfangs ein paar engagierte BuchhändlerInnen, die Eberhardt als Verlagsvertreter kennen. Dann kam Umbreit ins Spiel: Der Buchgroßhändler in Bietigheim-Bissingen wollte die Initiative unterstützen. Schnell kamen Buchhandlungen in München, Dresden, Leipzig, Berlin und sogar der Schweiz hinzu. „In jeder größeren deutschen Stadt wird es vermutlich bald mindestens eine Buchhandlung mit den ukrainischen Büchern geben“, so Eberhardt.

Aktuell sind das 34 Titel im Kinder- und Jugendbuchbereich, aber auch rund 20 literarische Werke – darunter zweisprachige Ausgaben von bekannten SchriftstellerInnen wie Paul Celan oder Bücher zeitgenössischer ukrainischer AutorInnen.

Jede Woche kommen bis zu 700 neue Bücher zum vereinbarten Treffpunkt in Deutschland. Der Kurier aus der Ukraine pendelt drei Tage hin, drei Tage zurück. Nach Stuttgart bringt er oft auch Koffer mit persönlichem Besitz Geflüchteter mit. Vor dem Rückweg belädt er den Wagen mit benötigten Ersatzteilen und auch mal mit Waschmaschinen.

Für den Import streckte Eberhardt eine große Summe vor, Sorgen bereitet ihm das jedoch nicht: Der Bedarf wird sicher noch wachsen. Zu kaufen gibt es die Bücher etwa in der Buchhandlung Pörksen oder im Botnanger Buchladen, der sogar einen Teil seines Preisgeldes vom Deutschen Buchhandlungspreis spendete, um drei Grundschulen mit ukrainischen Kinderbüchern auszustatten.

Auch Eberhardt sorgt weiter für Sichtbarkeit. Er stellt die Bücher während der Kinder- und Jugendbuchwochen in der Stuttgarter Stadtbibliothek aus und betreut am 13. Juli einen Infostand beim Sommerfestival der Kulturen auf dem Marktplatz.

Warum er das macht, sah er im Mai beim Katholikentag im Schlossgarten: „Als eine Gruppe UkrainerInnen vorbeikam, haben sich Kinder die Bücher geschnappt und waren gleich ins Lesen vertieft“, erzählt Eberhardt. „Das war ein besonderer Moment.“

Dieser Artikel ist aus LIFT 07/22

<< Zurück zur Übersicht

...