Stuttgart im Klimawandel

Zwischen Starkregenrisiko und Hitzeinsel

Mehrere Tausend Menschen sterben in Haiti beim Erdbeben, Waldbrände zerstören viele Länder gleichzeitig und im Ahrtal sind die Schäden des Hochwassers noch immer allgegenwärtig. Der Starkregen hat im Juli 2021 allein in Rheinland-Pfalz mehr als 100 Menschen  das Leben gekostet.

Doch obwohl sich die Ereignisse häufen und die Nachrichten überflutet werden von Naturkatastrophen, die durch extreme Wetterbedingungen verursacht worden sind, ist das Problem für die meisten wenig real – bis der eigene Wohnort betroffen ist.

Dabei sind auch Stuttgart und die Region besonders gefährdet: Eine Deutschlandkarte, die kürzlich unter anderem vom Umweltbundesamt und vom Deutschen Wetterdienst herausgegeben wurde, veranschaulicht, wo sich klimatische Extreme in den kommenden Jahren häufen werden. Die Region Stuttgart ist dunkelrot hinterlegt. Das bedeutet, dass in Zukunft unter anderem mit mehr heißen Tagen, weniger Jahresniederschlag, dafür aber mit mehr Starkregen zu rechnen ist.

Ob eine Katastrophe, wie sie im Ahrtal geschehen ist, auch in Stuttgart möglich wäre? „Grundsätzlich können solche Überflutungen durch Starkregen und Hochwasser natürlich stattfinden“, sagt Markus Moser, leitender Technischer Direktor vom Hochwasserschutz und der Gewässerökologie im Regierungspräsidium Stuttgart. „Zwar haben wir kein dominierendes Gewässer in der Stadtmitte, so wie im Ahrtal, aber wenn der Starkregen kommt, gibt’s Überschwemmungen.“ Moser erinnert an vollgelaufene Tunnel, Unterführungen und S-Bahn-Stationen nach dem Starkregen im Juli. „Die Wassermengen waren aber noch deutlich geringer als in Nordrhein-Westfalen und in der Pfalz.“

15 Liter Niederschlag pro Quadratmeter und Stunde schafft die Kanalisation in Stuttgart im Moment gerade noch. Solche Mengen traten  früher in der Regel alle fünf Jahre auf, erklärt Gerhard Pfeifer, Regionalgeschäftsführer vom Bund für Umwelt und Naturschutz in Stuttgart. Im Juli dieses Jahres kamen im Kessel allerdings schon 30 bis 50 Liter pro Stunde pro Quadratmeter vom Himmel.

Das Zusammenspiel aus Hanglage und Versiegelung könnte fatal sein, sagt Pfeifer. „Aufgrund der jahrzehntelangen massiven Bebauung fließt das Wasser bei Starkregen ganz schnell Richtung Tiefpunkt, also in die Stadtmitte. Breite Straßen wie die Jahnstraße, die von Sillenbuch mehrspurig in die Stadt führt, oder die Rotenwaldstraße im Stuttgarter Westen könnten im schlimmsten Fall wie ein Sturzbach fungieren.“

Pfeifer und seine Kollegen setzen sich deshalb dafür ein, den Versiegelungsgrad zu reduzieren und etwa Straßen zurück zu bauen oder Neubaugebiete auf Wiesen und Äckern zu stoppen. Markus Moser vom Regierungspräsidium betont hingegen, wie wichtig ein funktionierendes Starkregenrisikomanagement ist. Dazu gehören die Risikoanalyse sowie die Erstellung von Hochwasseralarmplänen.

Hochwasser- und Starkregenmanagement überschneiden sich zwar, sind aber nicht dasselbe: „Bei Hochwasser hat man sehr oft eine Vorwarnzeit“, sagt Moser. Während der Wasserspielgel der bestehenden Gewässer ansteigt, hat man Zeit, um Sandsäcke auszulegen und andere Vorkehrungen zu treffen. Starkregen kommt dagegen oft überraschend. Eine Gewitterzelle kann sich überall entladen und Starkregen zur Folge haben, nicht nur in unmittelbarer Nähe von Gewässern. Die Wassermassen fließen dann über Flüsse und Bäche ab, womit wiederum Hochwasser einhergeht. Gleichzeitig belastet die Wasserflut mit sofortiger Wirkung auch die örtliche Kanalisation.

„Es ist schwer vorhersehbar, wo sich eine Gewitterzelle entlädt“, sagt auch Simon Truckses von der Stadtentwässerung, Teil des Tiefbauamtes in Stuttgart. Hier wird seit etwa zehn Jahren an Starkregen-Gefahrenkarten gearbeitet. Alarm- und Einsatzpläne für den schlimmsten Fall liegen bereits vor, die Risikoanalyse ist etwa für die Hälfte der Stadt abgeschlossen: „Jede Bordsteinkante muss ins digitale Modell integriert werden, das ist zeitaufwändig“, sagt Truckses.

Zeit und auch Know-How, welches kleine Gemeinden oft nicht haben: „Von 179 Kommunen in der Region beschäftigen sich im Moment nur 55 mit dem Thema“, weiß Markus Moser. Die Zahl ist noch optimistisch bemessen, denn viele stehen ganz am Anfang.

Immer wieder hört der Hochwasser-Experte Ausreden wie: „Wir wohnen am Berg, das geht uns nichts an“. Doch im Gegensatz zum Hochwasser kann eine extreme Gewitterlage jeden Ort treffen. „Es kommt darauf an, ob man durch den Schaden im Nachhinein klug werden will oder schon vorher“, sagt er.

Um die Kommunen zu unterstützen, stellt das Land umfangreiche Informationen zur Verfügung. Vorbild ist ein Modellprojekt an der Glems: „Die Gemeinden um Markröningen  bis hin nach Renningen sind vor zehn Jahren

abgesoffen und haben dann konsequent angefangen, Gefahrenkarten zu machen“, erklärt Moser. Die Kosten, die für diese Karten anfallen, werden zu 70 Prozent vom Land Baden-Württemberg bezuschusst.

Die Lernkurve in Stuttgart lässt zu wünschen übrig: Gerhard Pfeifer vom Bund für Umwelt und Naturschutz erinnert sich an ein starkes Gewitter in den 70er-Jahren, bei dem dieselben Tunnel der B14 vollgelaufen sind, wie im vergangenen Juli. Damals starben mehrere Menschen.

Das Amt für Stadtplanung verweist auf Anfrage auf Hochwasserschutzdämme entlang des Neckars, räumt dann aber ein, dass bei Extremereignissen weite Teile des Neckartales überschwemmt werden könnten. Neu gebaut wird dort zwar seit 20 Jahren nicht mehr, viele Bestandsgebiete sind aber gefährdet. Seit 2015 liegen deshalb auch Hochwassergefahrenkarten vor, die öffentlich einsehbar sind. Wer am Wasser wohnt, muss sich anhand der Karten selbst schlau machen.

Das gilt übrigens auch fürs Wasser, das man nicht direkt sieht: Der Feuerbach und der Nesenbach etwa sind so stark verdohlt, dass Wassermengen nur an wenigen Stellen ausweichen können. Wo das Wasser in die Röhre hineinfließt, besteht ein erhöhtes Risiko für Überschwemmungen, heißt es von Seiten des Umwelt- und Naturschutzbunds. Stuttgart-Mühlhausen und das Feuerbacher Tal sind davon betroffen.

Gerhard Pfeifer war selbst vor Ort, als Mühlhausen diesen Sommer fast überschwemmt worden wäre: „Man hat gesehen, dass das Gewässer gerade noch so in die Röhre gepasst hat. Wenn das nicht der Fall gewesen wäre, wäre das Ortszentrum von Mühlhausen wie vor drei Jahren überschwemmt worden.“

Klar, gab es schon immer Hotspots für Überschwemmungen in der Region: Schwäbisch Gmünd und Reutlingen zum Beispiel. Stark-regen als Folge des Klimawandels ist in Zukunft aber immer häufiger zu erwarten. „Und im Gegensatz zum Hochwasserschutz, stehen wir mit dem Starkregenmanagement noch weitgehend am Anfang“, sagt Moser.

Dasselbe gilt für Hitze: Laut  dem aktuellen Monitoringbericht  von der Landesanstalt für Umwelt zum Klimawandel in Baden-Württemberg, werden in Zukunft trockene, heiße Sommer erwartet. Die Zahl der Tage mit einer Temperatur von über 30 Grad wird stetig ansteigen.

Dicht besiedelte Gebiete heizen sich dabei noch stärker auf, als ländliche Regionen. „Im Sommer können die Temperaturunterschiede zwischen Innenstadt und Umland bis zu sechs Grad ausmachen“, heißt es im Bericht. Die Rede ist vom Hitzeinsel-Effekt.

Web-Designer Sebastian Winter aus Stuttgart hat sich lange mit dem Thema auseinandergesetzt und die interaktive Webseite Hitzeinsel ins Leben gerufen. Dort führt Winter Ursachen und Handlungsempfehlungen auf: Auffällig ist, dass sich die Maßnahmen gegen Hitze und Hochwasser ähneln. Der hohe Grad an Versiegelung etwa geht mit viel Asphaltierung einher. Der Asphalt hat wiederum ein sehr geringes Rückstrahlungsvermögen und hitzt sich dementsprechend auf. Deshalb sind Grünflächen in der Stadt so wichtig – in der Wiese kann Wasser versickern, die Oberfläche reflektiert Sonnenstrahlen und Bäume sorgen zudem für Schatten und geben Wasser aus der Erde an die Umwelt ab.

Anhand von sechs Beispielen stellt die Webseite eine utopische Stadt mit überirdischen Gewässern, wenig Verkehr und großzügigen Frischluftschneisen vor. Dass all die Maßnahmen in der Umsetzung  lange Zeit bräuchten, weiß Winter selbst: „Wenn wir aber zum Beispiel unsere Parkplätze statt mit Pflaster- mit Rasengittersteinen auslegen würden, könnte Wasser versickern.“

Gemeinsam mit dem Verein Stadtlücken engagiert er sich  für schnelle, einfache Lösungen: Etwa die Neckarinsel als Naherholungsgebiet zugänglich zu machen. Im Hochwasserhotspot wohnen ist zwar tabu, aber warum sollte kein erfrischendes Ausflugsziel daraus werden?

Mehr Bürgerinitiative wünscht sich auch Jörn Birkmann von der Universität Stuttgart. In aktuellen Forschungsprojekten beschäftigt er sich mit Anpassungskapazitäten von Städten gegenüber Starkniederschlägen und Hitzestress. „Wenn man meint, seine Einfahrt und den Vorgarten vollständig bepflastern zu müssen, dann hat man bezogen auf Versickerung oder Hitzestress keinen besonders guten Beitrag geleistet.“

Die Förderung der Resilienz gegenüber extremen Wetterbedingungen ist aber auch Sache der Politik, sagt Birkmann: „In der Vergangenheit haben wir sehr viel über eine klimaneutrale Stadt diskutiert – das ist gut und richtig. Die Herausforderung ist nun aber, dass man Klimaschutz betreibt und sich trotzdem auch an den Wandel des Klimas anpasst.“ Handeln statt reden wäre jetzt also angebracht.       

Isabel Mayer

 

[www.hochwasser.baden-wuerttemberg.de]

[www.hitzeinsel.de]

 

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