LIFT-Aktuell im November 2018

An dieser Stelle gibt es jeden Monat eine Leseprobe zum Download sowie einen Artikel aus unserer aktuellen LIFT-Ausgabe.

PREPPER, PARANOIA UND PSYCHISCHE ÜBERFORDERUNG: WERDEN WIR IMMER ÄNGSTLICHER?

Stuttgart, deine Angst

Gefühlt folgt derzeit eine Krise der anderen. Die nächste große Katastrophe? Steht bereits vor der Tür. Das zumindest glauben sogenannte Prepper, die für den Ernstfall Konserven im Keller horten. Auch die Stuttgarter Telefonseelsorge hat viel mehr zu tun als früher. Was ist da eigentlich los? Ist alles wirklich schlimmer geworden? Rechte Verlage und Parteien wittern jedenfalls Morgenluft.

Tatort ist ein alter Luftschutzbunker unter der Stuttgarter Haltestelle Mercedesstraße. Der Tote? Ein Prepper. So nennen sich Menschen, die auf alle denkbaren Katastrophenszenarien vorbereitet, also „prepared“ sein wollen. Auf Kriege und Hochwasser etwa, auf den Zusammenbruch des Finanzsystems oder der Stromversorgung, auf Pandemien oder Reaktorunfälle. Dafür bunkern sie Vorräte für Wochen, schlafen schon mal neben gepackten Fluchtrucksäcken oder trainieren das Überleben im Wald.

Klar, dass der ermordete Prepper die Soko Stuttgart auf den Plan ruft – allerdings nicht die echte, sondern jene aus der gleichnamigen ZDF-Serie, bei der es neulich in der Folge „Bereit bis in den Tod“ um Prepper ging. Echte Prepper gibt es in Stuttgart und Region allerdings tatsächlich.

Die „Prepper Gemeinschaft Baden-Württemberg“ auf Facebook zum Beispiel zählt 324 Mitglieder, sie leben in Stuttgart, Leinfelden, Backnang, Schorndorf oder Waiblingen. Mit einem von ihnen ins Gespräch zu kommen, ist jedoch nicht leicht. Manche wollen nicht bloßgestellt werden, andere fürchten im Falle einer Katastrophe Plünderungen, wenn sie sich erkennbar zeigen. Groß ist aber auch die Sorge, in einen Topf mit Rechten, Reichsbürgern oder anderen „Aluhutträgern“ geworfen zu werden – auch wenn niemand von ihnen bestreitet, dass es unter Preppern zahlreiche Rechte gibt. „Spinner und Extreme gibt es in jeder Szene“, distanziert sich der Prepper Boris Müller. „Aber von Hooligans schließt man ja auch nicht auf ganz normale Fußballfans.“ Früher war das, was sie machen, alltäglich: „Unsere Großeltern lagerten ebenfalls Lebensmittel im Keller“, sagt er. Heute gebe es halt einen Begriff dafür.

Der Prepper aus dem Raum Tübingen wirkt nicht wie ein Apokalyptiker mit Untergangssehnsucht, im Gegenteil. Müller ist ein fröhlicher Mensch, der häufig lacht und von sich behauptet, gerne in unserer Zeit zu leben. Und doch macht er sich Sorgen: Er rechnet mit dem Zusammenbruch des Finanzsystems, fühlt sich in der Gegend um den Stuttgarter Hauptbahnhof oder auf Konzerten nicht mehr sicher. Eine Initialzündung war für ihn der Orkan Lothar, der 1999 in der Region für massive Schäden sorgte.

Spätestens aber die Finanzkrise 2008 überzeugte ihn davon, auf alles vorbereitet sein zu müssen. „Unsere Gesellschaft ist so abhängig von Lebensmittelgeschäften, dass es bei einer Krise binnen kürzester Zeit Probleme gäbe“, warnt Müller. Das zeige sich in Supermärkten ja schon vor langen Wochenenden oder Feiertagen.

Tatsächlich rät auch die Bundesregierung seit Jahrzehnten dazu, sich einen Notfallvorrat für zehn Tage anzulegen. Diesen Zeitraum toppt Müller locker, in seinem Keller stapeln sich genügend Konservendosen für Wochen. Hauptsächlich will er auf elementare Dinge wie den Ausfall von Heizung, Wasser oder Strom vorbereitet sein. Einen Fluchtrucksack hat er nicht, sehr wohl aber Reserven in Silber und Gold – als Tauschmittel nach dem Zusammenbruch des Euros. „Mir sind realistische Szenarien wichtig“, sagt Müller. Das gelte aber nicht für alle aus der Szene: „Ich kenne Prepper, die Bunker mit ABC-Schutz bauen, Waffen besitzen oder Lost Places suchen – verlassene Gebäude, in denen sie sich verbarrikadieren können.“ Da bleibt Müller lieber pragmatisch: „Fast alles, was ein Prepper braucht, findet er auch im einfachen Camping-Laden.“

Oder aber im Sortiment des Kopp-Verlags aus Rottenburg. Für seine verschwörungstheoretischen und ultrarechten Bücher ist der Verlag des ehemaligen Stuttgarter Polizisten Jochen Kopp schon länger berüchtigt. Inzwischen gibt es dort aber auch ein breites Warensortiment für Prepper – angefangen bei zehn Jahre haltbaren „Panzerkeksen“ über Wasseraufbereiter bis hin zu Notfallrucksäcken mit allem, was man in den ersten 72 Stunden einer Krise zum Überleben braucht.

Michael Butter, Autor des Buchs „Nichts ist wie es scheint. Über Verschwörungstheorien“ (erschienen 2018 im Suhrkamp Verlag), erkennt darin ein Geschäftsmodell: „Der Verlag schürt mit apokalyptischen Szenarien Ängste – und deckt zugleich den daraus entstehenden Bedarf“, sagt er. In den USA finde eine solche Kommerzialisierung schon länger statt und verstärke damit das Unsicherheitsgefühl der Menschen. Eine ähnlich verzerrte Wahrnehmung kann der Amerikanist von der Universität Tübingen mittlerweile auch in Deutschland beobachten: „Die AfD hat den gesellschaftlichen Diskurs verschoben und den Fokus auf das eher unbedeutende Thema Flüchtlinge gelenkt – weg von den eigentlichen Problemen.“

Sind Prepper also nur ein Symptom für eine von Dauerkrisen und -debatten verunsicherte Gesellschaft? In diesem Jahr kamen nur halb so viele Flüchtlinge nach Deutschland wie nach der zäh diskutierten Obergrenze erlaubt. Auch ist Stuttgart laut Aussage des Polizeisprechers Jens Lauer in den vergangenen Jahren keineswegs unsicherer geworden, obwohl die subjektive Empfindung von Besuchern aus der Region oft eine andere sei.

Sowohl Prepper Boris Müller als auch der Survival-Experte Udo Schaible teilen den Eindruck, dass die Angst der Menschen in der Region zunimmt. Schaible bietet unter anderem Überlebenstrainings im Bopser-Wald an. Er ist ein kräftiger Typ mit Glatze und tätowierten Oberarmen, auf den ersten Blick keiner, dem man nachts alleine auf der Straße begegnen will. Nach zwei Stunden im Geäst stellt man vorurteilsbefreit fest: Alleine im Wald würde man sich mit ihm ziemlich sicher fühlen. Der Stuttgarter strahlt Ruhe aus – er will Wissen vermitteln, keine Ängste schüren. „Wenn es anders kommt, als man denkt“, heißt es auf seiner Homepage. Aber damit meint Schaible – selbst kein Prepper – nicht gleich die drohende Apokalypse.

„Viele verlassen sich aufs Handy, in der Natur kann aber immer etwas passieren. Man verirrt sich und hat kein Netz oder hat einen leeren Akku, auch ein wochenlanger Stromausfall ist denkbar.“ Navigieren, Feuer machen, einen Unterschlupf bauen: Das lernen bei ihm Prepper ebenso wie Naturfreunde, Kinder oder auch mal eine Mitarbeitergruppe von Daimler. Doch auch Schaible hat im Kopf diverse Katastrophenszenarien durchgespielt und sagt: „In den Medien wird nur noch Negatives berichtet, viele haben Angst und das Vertrauen in die Politik verloren.“ Kein Wunder also, dass die Kurse bei „Survival Stuttgart“ regelmäßig ausgebucht sind.

Auch Krischan Johannsen, Leiter der Telefonseelsorge in Stuttgart, stellt fest, dass Menschen in der Region das Hilfsangebot häufiger in Anspruch nehmen als früher. „Mehr als 30 Prozent melden sich bei uns, weil sie Angst haben“, sagt Johannsen. „Es gab eine große Anruferwelle während der Flüchtlingskrise, bei vielen hat das eine ganz archaische Angst vor dem Fremden ausgelöst. Auch war die Sorge groß, etwa Wohnraum oder staatliche Leistungen zu verlieren.“ Während sich bei einigen rechte Einstellungen verfestigt hätten, seien andere von ihrer Furcht verunsichert: „Manche Anrufer fragen uns, ob sie deshalb nun schlechte Menschen seien.“

Der 62-Jährige glaubt, dass viele von der Komplexität der Welt überfordert seien. Sie verstünden nicht mehr, was in der Politik, in der Wirtschaft, in der Ökologie passiere. Deshalb auch die Sehnsucht nach einfachen Antworten, wie zum Beispiel Trump sie gebe. Gerade im teuren Stuttgart spiele mittlerweile auch Altersarmut eine große Rolle, sorgt sich Johannsen. „Immer mehr Rentner leiden unter blanker Existenzangst, sie ziehen sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurück und werden dadurch ängstlicher.“

Zudem leidet laut einer Studie der AOK jeder Zehnte in Baden-Württemberg an Depressionen, eine alarmierende Zahl angesichts der schlechten Versorgungssituation psychisch Kranker – oft müssen sie Monate auf einen Therapieplatz warten.

„Angst ist ein Anzeiger für tieferliegende Probleme, etwa für Einsamkeit, Verlorenheit oder Überforderung“, erklärt Johannsen. Früher habe es mehr Austausch und Zusammenhalt gegeben, auch dank voller Kirchen. Heutzutage würden sich die Leute dagegen Ersatzreligione suchen oder in Konsum und Rausch flüchten, so der Telefonseelsorger.

Anstatt die Individualisierung voranzutreiben, müssten die Menschen einander wieder mehr erzählen und zuhören. Zugleich sieht Johannsen aber auch Politik und Medien in der Verantwortung: „Man sollte den Leuten mehr zumuten, sie ehrlicher und tiefgehender informieren.“

Oder aber positiver berichten: Die Welt ist nämlich in den letzten Jahren laut  Statistik gerechter, sicherer und wohlhabender geworden. Das ist vielleicht keine gute Story. Aber eine gute Nachricht.   

 

Text: Frank Rudkoffsky

Fotos: Ronny Schönebaum

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